Selbstdarstellung im World Wide Web - Ein tiefes menschliches Bedürfnis

06. Dezember 2010

ich fahre zu oft mit den öffis anders kann ich mir nicht erklären, wieso grad ich immer in solchen situationen anwesend bin!

nicht so lustig wie die kaugummi auf der stirn sache, aber definitiv einen blogeintrag wert! :

bahnhof hütteldorf, ich warte auf die s-bahn,  eisige kälte, viele leute, alle frieren, mädchen, ca. 16 jahre telefoniert, ein kleiner auszug aus ihrem telefonat:

-jaqui, bist grad in facebook? ojda geh in mein profil rein und schreib "it's soo cold brrr" (ich zitiere wortwörtlich) -------- na ojda, weil ich meine GB schon verbraucht hab, jetzt mach heast! ------ ok,basst! mein passwort ist ******************** (und jetzt buchstabiert sie vor ca. 20 uns answesenden leuten tatsächlich ihr passwort, schön langsam zum mitschreiben für alle, ääh für die jaqui.

kurze stille, die die frau neben ihr nützt um mir ungläubige blicke zuzuwerfen. ich entgegne  mit einem  augen verdrehen. weiter gehts:

jaquiii hast es geschrieben? ---ook sag mir ob jemand ein commi gemacht hat, ok, ruf mich gleich an wenn jemand was schreibt, ok?!

Das wars. Folgende Frage stellte sich mir daraufhin automatisch: OMG, WER, AUSSER DEM LUGNER, NENNT SEIN KIND NOCH JAQUELINE und wieso sind wir so süchtig nach Selbstdarstellung?

Die erste Frage konnte ich nicht beantworten, aber mit der zweiten begann ich mich auf der Heimfahrt zu beschäftigen....

Es ist doch so, Jaqui-Freundin ist nur eine von vielen, mag sein, dass sie ein Extrem darstellt, aber ich muss zugeben, dass auch ich selbst, mindestens einmal am Tag in mein FB-Profil reinschaue. Meistens poste ich nichts,  gaffe nur. "Boaaah, die ist wieder Single?!?", "Geh bitte, wie billig, Fotos im Bikini ins Netz stellen!", "Hahahaha, genau DAS hab ich mir auch uuur oft gedacht!" , - das sagend, sitze ich meist vor dem PC und ertappe mich selbst, wie locker eine Stunde vergeht, in der ich meinem Voyeurismus freien Lauf lasse.

In Zeiten des WWW wird uns jede Möglichkeit geboten uns darzustellen, ins beste Licht zu rücken, zu zeigen, was man hat. Ist doch absurd, oder nicht? Ich lade Fotos hoch, wo ich mich hübsch finde, damit mir andere schreiben, wie gut ich doch aussehe. Wieso brauche ich diese Bestätigung? "Brauchen", tu ich sie ja nicht wirklich, ich finde mich ja bereits fesch auf dem Foto, sonst hätte ich es ja nicht hochgeladen, also woran liegts?

Sicher nicht nur an dem Internet, wie viele behaupten. Den Drang zur Selbstdarstellung hat der Mensch in sich. Heute ist es Facebook, früher war es der sonntägliche Kirchenbesuch, wo man seine besten Kleider anzog, und nicht etwa für Gott, nein!, für die anderen. Sehen und gesehen werden, das war schon damals die Devise.

Das allein kann es aber nicht sein, da steckt sicher mehr dahinter. Der Mensch hegt ein Bedürfnis nach Maskierung. Wir wollen die Kontrolle darüber haben, wie wir von anderen wahrgenommen werden, und wo geht das leichter als im Internet, in dem man nur seine Schokoladenseite präsentieren muss, wenn man will. Dabei ist aber zu beachten, dass der Ausdruck, den wir uns selbst geben, nicht unbedingt übereinstimmend mit dem sein muss, dem man tatsächlich ausstrahlt. Die mit den Bikini-Fotos, wollte einfach ihren Körper präsentieren, Komplimente ernten, dass ich sie als billig mit zuviel Bauchspeck abstemple, war sicher nicht ihre Intention.  Der Mensch spielt also eine Art Rolle. In ihren Augen ist sie auf diesem Foto eine laszive Strandschönheit, zu Hause läuft sie sicher oft im Schlabberlook rum und findet sich häßlich. Dann liest sie die vielen, schmeichelhaften Kommentare zu ihrem freizügigen Foto, und schon nimmt sie wieder diese andere Identität an. Es ist wie auf einer Theaterbühne, vor der Bühne funktionierst du, bist makellos und hinter der Bühne, fühlst du dich unbeobachtet und fällst aus deiner Rolle.

Damit wir Menschen aber miteinander kommunizieren können, ist es sogar wichtig  seine "vor der Bühne Identität" zu entfalten. Der Mensch muss eine gewisse Kontinuität in der Ausführung der anfangs entworfenen Rolle entwickeln, man muss sein Gesicht wahren, sein Image pflegen um so soziale Anerkennung zu erlangen. Du kannst noch so klug, witzig,attraktiv sein, wenn du in Jogginghosen durchs Leben läufts, werden dir das nicht alle abkaufen und du wirst in vielen Bereichen benachteiligt sein.

Wir brauchen uns also nicht schlecht fühlen. Im Internet andere angaffen ist ein natürliches, menschliches Bedürfnis. Sich darzustellen um Komplimente zu erhaschen, steigert unseren Selbstwert und selbstbewusst finden wir eher soziale Anerkennung, welche wiederum maßgebend für die Entwicklung der menschlichen Psyche ist. 

Das ist alles also gaaaanz normal,wir sind keine Freaks, ich bin kein Freak, okay, Jaqui-Freundin ist schon bissl einer, aber gut,was solls, solche braucht die Welt auch.  

 

Kommentare

 

love it!
+++

 

super blog :)
wobei ich mir manchmal denke... es gibt auch Leute, deren Identität im Netz viel cooler rüberkommt als in echt. Boah, die ganzen FB-Süchtler, die ein mega cooles Profil haben, geile Fotos, und dann "in echt" einfach nur langweilig sind!
da ist es mir lieber, man hängt sich nicht zu sehr in diese Internet-Maskierung rein, sondern arbeitet an seiner Präsenz im echten Leben. Bringt einem doch eh mehr auf die Dauer gesehen, oder?
Aber das hat ja auch alles Schattenseiten. Ist erstmal ein negatives Bild einer Person im Web 2.0 entstanden, wird es schwer, diese Rolle wieder loszuwerden.. Es gibt auch im Netz Täter, Opfer, Insider, Außenseiter blabla..

 

kennt ihr die situation - wo ihr von anderen leuten angerufen werdet...um auf deren seite einen kommentar nach ihrem wunsch zu schreiben?!?!

 

Gott sei Dank nicht!

 

+++

die menschliche Dummheit ist unendlich!

 

Jetzt wißt ihr wie ich oder Datendiebe an Paßwörter kommen, das geht ungefähr auch so.
Du sitzt in einem Café, zwei Geschäftsleute unterhalten sich über die IT im Unternehmen, plappern ein bißchen von Geschäftsberichten und das dies und jenes Programm nicht funktioniert, oder diese und jene Abfrage.
Der/die Kolleg/Kollegin sagt, daß es bei ihm anders geht da er den Account vom Systemadministrator nutzt und weil der mehr Rechte hat geht es damit schneller.
Er/sie fragt nach dem Paßwort, er sagt es, ich tippe es ins Mobiltelephon und penetriere gerade das System vom Laptop aus während die sich noch über das Wochenende unterhalte.
Da sieht man dann sehr, sehr viele interessante Sachen.
Tja, sehr oft muß man nicht einmal Hacken, nur zuhören können.
Hrhr.
Ich liebe auch diese schönen freien HotSpots der verschiedenen Unternehmer, ich kann von unterwegs ins Netz und nebenbei Firmendaten saugen. Hrhr.
Menschen sind doch nett. (:
Hinweis: Asange dürfte es auch ziemlich leicht gehabt haben. Hrhr.

Bezüglich Selbstdarstellung dann noch:
Es ist eher Mitteilungsbedürftigkeit; die Sprachlosigkeit im Leben bedingt fast ein jedesmal Gekreische an anderer Stelle. (:

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