Sommer, Sonne, Runterfahren.

04. Juli 2018

Ferienzeit ist Jugozeit. Die Urlaubsplanung in meiner Kindheit war damit schnell erledigt. 

Die letzte Entscheidungsprüfung zwischen Genügend und die ‚Schande der Familie werden’ ist nochmal gutgegangen. Nun warteten zwei Monate Jugo-Ferien auf mich. Zwei Monate voller Freiheitsfeeling, langen Dorfstreifzügen, Irgendwann-Nachhause-Kommen und natürlich dem ein oder anderen Hochzeitsbesuch. Die gute alte Jugozeit. Die Vorbereitungen dafür brachten mich bereits in Ferienlaune: Meine Mutter shoppte den halben Hofer leer mit Rosinen-Nuss-Schokotafeln, Duschgels und Seifen. Alles zum Verschenken. War so ‘ne Art Gastarbeiter-Bringschuld an die Untenlebenden. Gehörte irgendwie zum guten Ton. Tat jeder.

Extrawurst und Bestechungs-Zehner

Mein Vater verbrachte den halben Tag mit dem Auto in der Waschstraße und den halben Tag damit, das Selbige mit  den Schuhen meiner Mutter, Herschenk-Schoki und ausgemusterten Elektrogeräten für „unten“ bis zum Dach zu beladen. Meine Schwester und ich rauften während der Zwölfstundenfahrt auf den Hintersitzen von Papis neuestem Renault Espace, wer die Beine auf den mittleren Sitz ausbreiten darf, bröselten diesen mit der dritten Extrawurstsemmel aus der Riesenprovianttasche voll und sangen uns mit den Sommerhits des Vorjahres schon mal in Ferienstimmung. Meine Eltern standen total auf „Kolonne“-Fahren. Also sind wir jedes Jahr mit allen Cousins, Tanten und Onkeln gemeinsam aufgebrochen und bretterten mit unseren Familien-Vans über die ungarische und serbische Autobahn. Apropos Ungarn und Serbien: Die Grenzkontrollen waren immer unberechenbar und konnten sich ewig hinziehen. Je nachdem, ob man einen gutgelaunten Beamten antraf, blieben Rasenmäher und SAT-Schüssel unentdeckt. Sicherheitshalber mussten wir Kinder uns immer schlafend stellen, um den Herrn Grenzpolizisten zu besänftigen. Und sicherheitshalber bekam er den klassischen Bestechungs-Zehner in den Pass gelegt, der stets wohlwollend angenommen wurde. 

Gastarbeiter-Auto-Jäger

Ich vermisse manchmal diese Wien-ostserbisches Dorf-Route, gespickt mit  Pinkelpausen am Autobahnrand, an den Haaren herbeigezogenen Strafzetteln von polizeilichen „Gastarbeiter-Auto-Jägern“ und den obligatorischen Restaurant-Besuch bei „Rodic“, wo wir uns fürs letzte Drittel der Reise traditionell mit einem kulinarischen panierten Balkan-Klassiker stärkten. Ich vermisse die ewig gleichen Geschichten meiner Eltern aus ihrer Jugend und ihrer großen Liebe, die sich von Budapest bis weit nach Novi Sad erstreckten. Ich vermisse den Hund, der uns am offenen Tor aufgeregt willkommen hieß. Die Großeltern, die nach einem langen Jahr für wenige Wochen „volles Haus“ haben dürfen.  Seither sind viele Sommer vergangen. Längst gibt es keinen Hund und keine Großeltern mehr. Schon lange fahre ich auch nicht mehr runter. Jeden Sommer aufs Neue denke ich aber an sie. Meine Kindheit. Die gute alte Jugozeit. 

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