Türkei: Es wird noch dreckiger weitergehen

04. November 2016

Ein Gastkommentar von Kenan Dogan Güngör

Nun ist es doch soweit gekommen und es wird noch viel dreckiger weitergehen. Niklas Luhmann befürchtete mal, dass nach Unten hin leider keine Grenze existieren würde. 
Wir sind alle Zeugen eines angekündigten, mit gewaltigen - und gewalttätigen - Schritten eingeführten, faschistoiden Totalitarismus in der Türkei, der auf einen Bürgerkrieg hinsteuert. 
Vor einigen Tagen wurde ein Großteil der Redakteure der oppositionellen, ehemals staatstragenden Zeitung Cumhurriyet verhaftet. Heute ist die Führung und viele Politiker der linksliberalen, prokurdischen und drittstärksten Partei HDP festgenommen wurden. Sie hatten den "Fehler" gemacht sich gegen die absolutistischen Herrschaftsansprüche eines machtbesessenen Präsidenten zu stellen. Als sie die Wahlen im letzten Jahr so gewonnen haben, dass die AKP ihre Alleinregierung verloren hatte, hat der "Demokrat" Erdogan die Wahl einfach wiederholen lassen und mit allen Mitteln versucht die HDP zu kriminalisieren. Seither sind zahlreiche Anschläge mit hunderten von Toten, willkürliche Verhaftungen, Enteignungen die bittere Realität der HDP.

Der Ausnahmezustand hat die oppositionellen Medien zum Schweigen gebracht

Mit dem selbst provozierten Krieg mit der PKK wird zugleich eine nationalistisch-islamistische Ader aufgeschnitten, ein nationaler Schulterschluss beschworen, der ausnahmslos alle bekämpft die sich dieser Willkürherrschaft nicht beugen. Der Ausnahmezustand hat die wenigen oppositionellen Medien nahezu ganz zum Schweigen gebracht.
 Es trifft fasst alle: Liberale, Laizisten, Religiöse, Sozialdemokraten, Linke und am härtesten wie seit jeher die Kurden. Alle sozialen Medien wie Facebook, Twitter, YouTube etc. sind in der kurdischen Metropole Diyarbakir seit einigen Tagen kaum noch erreichbar. Ich frage mich mittlerweile immer mehr, ob der gescheiterte Putschversuch das Land hätte noch stärker an den Abgrund drängen können. Es ist in diesen Tagen sehr einfach geworden, in der Türkei als Terrorist bzw. Staatsfeind abgestempelt zu werden. Ein kritischer, eher verzweifelter Beitrag wie dieser genügt.

Kenan Güngör ist Soziologe und Integrationsexperte in Wien. 

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Kommentare

 

R. Erdogans AKP ist mittlerweile ein Feind von Freiheit und Demokratie. Genauso sind es aber auch die kemalistischen Militärs und die Gülen-Bewegung. Welche der beiden Letzteren jetzt hinter dem Putschversuch steckt, ist ungeklärt und wird es wohl auch bleiben, da die AKP ihr bestes getan hat unabhängige Gutachter auszuschliessen, um ihre Gülen-Narrative voranzutreiben.
Fest steht daher: wer immer den Putsch wollte, hätte die HDP genauso stark unterdrückt wie es nun die AKP tut. Den Kemalisten ist die kurdische Kutur schon seit Jahrhunderten ein Dorn im Auge, da sie ihrer Ansicht nach die türkische Republik destabilisiert. Die Gülen-Bewegung dagegen unterscheidet sich nur in Machtfragen von R. Erdogan.

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