„Unser Bildungssystem schafft eine parallele Struktur!“

13. Oktober 2020

Vor einem Jahr galt Tarık Mete in Salzburg mit 15.380 Vorzugsstimmen in der SPÖ als die größte Überraschung bei der Nationalratswahl. Ein Jahr nach seinem Erfolg erzählt der 34-jährige Gemeinderat im biber-Interview, warum das Bildungssystem viele Kinder benachteiligt.

Von Yasemin Uysal   

biber: Herr Mete, nach Ihrem Wahlerfolg letztes Jahr kam seitens der Bundespartei nicht wirklich eine Reaktion. Ist das mittlerweile schon passiert?

Ich habe hunderte positive Rückmeldungen und Glückwünsche von Menschen, die mich unterstützt haben, erhalten – das war das, was für mich zählt. Ich hatte mit der Bundespartei diesbezüglich Kontakt, aber es hat zu keinem inhaltlichen Austausch geführt. Ich bin jetzt aber auch niemand, dem es darum geht, dass man ihm auf die Schulter klopft. Für mich ist es einfach wichtig, dass die Stimmen meiner Wähler*innen wertgeschätzt werden. Ich habe unsere Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner sogar nach Salzburg eingeladen, aber auf meine Einladung kam leider keine Antwort. Vielleicht besucht sie mich aber bei Ihrem nächsten Salzburg-Aufenthalt.

Sind Sie enttäuscht deswegen?

Enttäuscht würde ich nicht sagen. Mein politisches Engagement mache ich nicht von Anrufen oder Schulterklopfern abhängig. Egal ob ich ein Mandat habe oder nicht, ich möchte mich bestmöglich für meine größte Herzensangelegenheit, die Chancengerechtigkeit, einsetzen. Auch wenn ich morgen nicht mehr Gemeinderat wäre, würde ich mich weiterhin für mehr Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft einsetzen.

Gehen wir einmal ein bisschen weg von der Politik. Was hat sich im letzten Jahr noch alles bei Ihnen getan? Können Sie uns ein bisschen über Ihren Alltag erzählen?

Das Thema, wofür ich brenne, ist die Chancengerechtigkeit in der Bildung. Deswegen haben wir in Salzburg letztes Jahr ein Bildungszentrum namens 'Lernprofi' eröffnet. Daneben haben wir zusätzlich den Verein ‚Greif nach den Sternen’ gegründet, wo wir Stipendien für kostenlosen Nachhilfeunterricht vermitteln. Es werden auch Workshops für die Schüler*innen, von Rhetorik und Konfliktmanagement bis hin zu Selbstbewusstseinstraining, durchgeführt. So wollen wir die Schüler*innen beraten, empowern und sie in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen.

Wie kommt ihr Bildungszentrum in der Bevölkerung an?

Es war beeindruckend, wie viel Nachfrage in kürzester Zeit entstanden ist. In einem Jahr haben wir rund 100 Schüler*innen betreuen können, was für Salzburger Verhältnisse eine hohe Zahl ist. Wir sind als Team sehr froh über die große Nachfrage. Das Beste daran ist das positive Feedback, das wir sowohl von den Eltern als auch von den Schüler*innen bekommen.

Haben Sie schon erste Erfolge mit ihrem Bildungszentrum?

Wir betreuen fast ausschließlich Kinder, die in der Gefahr sind, in der Klasse sitzen zu bleiben. Beinahe alle Kinder, die von Lernprofi betreut wurden, haben die Klasse auch tatsächlich geschafft. Wenn man mit den Schüler*innen gemeinsam ihren Erfolg feiert, ist das einfach ein großartiges Gefühl. Das ist in unseren Augen der größte Erfolg für unser Team.

Sie haben eine parlamentarische Bürgerinitiative zur Abschaffung der Deutschförderklassen gestartet. Warum sollen Ihrer Meinung nach Deutschförderklassen abgeschafft werden?

Das Problem der Deutschförderklassen ist, dass sie sehr harmlos klingen. Was sollte man gegen Deutschförderklassen haben? Natürlich sollen unsere Kinder in Deutsch gefördert werden. Das ist wichtig. Das Problem solcher Klassen ist das System, das dahintersteckt. Durch das System der Deutschförderklassen kommt es bereits in der Vorschulphase zu einer Testung von Kindern, die gerade einmal fünf, sechs Jahre alt sind. Dieser Test entscheidet, ob ein Kind in die Regelklasse kommt oder eben in die Deutschförderklasse. Aber welche Kinder werden überhaupt getestet? Das Auswahlverfahren ist nicht wirklich transparent und das ist ein wesentlicher Kritikpunkt.

Wie werden Kinder bei diesen Tests beurteilt?

Das beste Ergebnis, das man beim Einstufungstest erreichen kann, ist ein ‚Ausreichend’. Ein Kind, das also alles im Test weiß, bekommt nur ein ‚Ausreichend’. Dann darf’s in die Regelklasse. Wenn es nicht alles weiß, dann ein ‚Mangelhaft’ oder ‚Unzureichend’. Das sehe ich als großes Problem.

Wer ist bei diesen Tests dabei?

Die Eltern dürfen bei diesen Tests nicht dabei sein. Die Kinder kommen in einen Raum mit fremden Menschen und machen dort den Test, der maximal 30 Minuten dauert. Dass Kinder meist ihre Zeit brauchen, um aufzutauen und eine Vertrauensbasis zu fremden Menschen zu finden, wird gar nicht berücksichtigt. Diese paar Minuten in einem fremden Raum mit unbekannten Gesichtern entscheidet dann, in welche Klasse ein Kind gesteckt wird. Viele Eltern von Vorschulkindern wenden sich an unser Team von Lernprofi und ersuchen um Unterstützung.

Was haben diese Deutschförderklassen für Auswirkungen auf die Kinder?

Unser Bildungssystem schafft eine parallele Struktur in der Schule. Alle Kinder mit Sprachschwierigkeiten kommen in eine Klasse. Vielleicht gehören sie alle auch zur selben ethnischen Gruppe. Sie reden untereinander also wieder in der Erstsprache, das ist alles andere als förderlich für die Deutschkenntnisse. Das Schlimmste an diesem System ist aber die strikte Trennung von den Kindern in der Regelklasse. Man nimmt den Kindern die Chance, voneinander zu lernen. Das geht so weit, dass diese Kinder nicht zu Schulausflügen mitgenommen werden. Das weiß ich aus Erfahrungsberichten von besorgten Eltern.

Was würden Sie für eine Alternative zu Deutschförderklassen vorschlagen?

Auf jeden Fall ein zweites Kindergartenjahr und ein inhaltlich aufgepepptes Vorschuljahr, wo die Kinder ordentlich vorbereitet werden. Somit hätten Kinder insgesamt drei Jahre Zeit, sich in einem deutschsprachigen Umfeld mit anderen Kindern auszutauschen und voneinander zu lernen. Darüber hinaus braucht es zusätzlich zum Regelunterricht entsprechende Fördermaßnahmen, die mit Expert*innen entwickelt werden, um die Schüler*innen in ihrem Spracherwerb parallel zum Regelunterricht bestmöglich zu unterstützen und ihnen tatsächlich die Chance auf eine erfolgreiche Zukunft ermöglichen. 

Gehören Erstsprachen von Kindern mit Migrationshintergrund gefördert?

Natürlich! Jede Sprache sollte als Potenzial angesehen werden und nicht als Gefahr oder Nachteil. Wieso schaffen wir nicht ein System, wo jedes Kind jedes ihrer Sprachpotenziale nützen kann? Erst wenn man seine Erstsprache beherrscht, kann man aufbauend darauf weitere Sprachen erlernen. Deshalb gehören Erstsprachen gefördert. Auch die Gesellschaft hätte dann mehr von diesen Kindern und ihren Potenzialen. Aber momentan sieht es eher so aus als würden wir eine ganze Generation verlieren, weil ihre Kompetenzen nicht geschätzt werden. Die aktuelle Politik der Bundesregierung sieht in der Mehrsprachigkeit dieser Kinder kein Potenzial, sondern eine Gefahr und das ist der komplett falsche Ansatz.

Wie gehen Sie gegen Deutschförderklassen vor? 

Als vor zwei Jahren unter der ÖVP und FPÖ die Deutschförderklassen eingeführt wurden, hatte ich schon eine Online-Petition initiiert, die von 2000 Menschen unterstützt wurde. Leider war das zu der Zeit noch eher ein abstraktes Problem für die breite Gesellschaft. Jetzt werden aber die negativen Konsequenzen sichtbar. Aktuell erhalte ich hunderte Nachrichten von betroffenen Familien, die sich über die Deutschförderklassen und die dazugehörigen Modalitäten beschweren. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, die Sache auf eine offizielle Ebene zu tragen und eine parlamentarische Bürgerinitiative zu starten. Dafür sammeln wir 500 Unterschriften, die dann dem Parlamentspräsidenten übergeben werden. Wir fordern die Abschaffung der Deutschförderklassen und des dazugehörigen Einstufungstests (MIKA-D). Die 500 Unterschriften sind aber nur der erste Schritt. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis sichergestellt ist, dass jedes Kind, die Chance auf eine erfolgreiche Zukunft bekommt.

 

 

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