„Die Franzosen sind selber Schuld!“

03. Dezember 2015

Céline Puaud, 35 Jahre alt, unterrichtet Französisch an der Universität Wien. In Frankreich aufgewachsen und studiert, lebt Madame Puaud seit sechs Jahren in Wien. Sie hat einige Jahre im Raum des ehemaligen Jugoslawiens verbracht und schreibt im biber über ihre Gedanken zum Parisattentat.

 

Gastkommentar von Mag. Céline Puaud

 

Celine Puaud
Celine Puaud

Ich bin 35 Jahre alt und auch ich hätte im Bataclan sein können. Ich fühle mich angegriffen, nicht nur als Französin, sondern als Mensch. Denn ich weiß, sie tun uns allen weh. Uns und ihren eigenen Gemeinden.

Ich beschäftige mich schon lange damit, wie es in Frankreich soweit gekommen ist, dass Parallelgesellschaften entstehen und solche furchtbaren Dinge passieren können. Viele kennen von Frankreich nur „La vie est belle“, die Freiheit von Paris und die Gleichheit als Prinzip der Grande Nation. Die Devise der Republik: “Liberté-Egalité-Fraternité“ entspricht aber nicht der Realität, und schon gar nicht für Leute mit Migrationshintergrund. Man sagt zu Ahmed: „Du bist Franzose“, aber komischerweise kommt er nicht so leicht aufs Gymnasium wie Pascal, in eine Diskothek, oder zu einem Arbeitsplatz. Diskriminierung und soziale Ausgrenzung führen zu Angst, Frust und einem Rückzug in die eigene Community. Das wiederum kann die Radikalisierung fördern. Das Phänomen ist unter anderem entstanden, weil wir vergessen haben, was diese 3 Wörter wirklich bedeuten.

Laizität, ein weiteres äußerst wichtiges Prinzip der Republik, wird meiner Meinung nach nicht mehr als Freiheit gesehen, die eigene Religion auszuüben, solange es eine Privatsache bleibt, sondern als Instrument der Tabuisierung des Themas Religion benutzt.  Es beginnt alles in der Schule: Wer Lehrer in Frankreich ist, ist fast immer links. Und wer links in Frankreich ist, ist traditionell nicht nur für Laizität, sondern auch oft gegen die Kirche, oder das Tragen des Kopftuchs. Das Problem ist, wenn man nie über Religion redet und nur von den Medien beeinflusst wird, entstehen Feindbilder. Deswegen prügeln sich Kinder, weil der eine Jude und der andere Muslim ist. Auch deswegen sind Front-National-Wähler zu faul, Religion (Islam) von Ideologie (Islamismus) zu unterscheiden.

Im Zuge der Trauer um Paris haben sich viele Menschen in sozialen Netzwerken zu Wort gemeldet. Einige haben dabei Frankreichs Handeln zu Kolonialzeiten und innerhalb der NATO verurteilt. Frankreich hat Fehler gemacht und wird wahrscheinlich noch viele weitere machen. Aber ist das ein Grund, über die Menschen herzuziehen, die bei den Anschlägen gestorben sind? Gewiss nicht.

Ich habe einige Jahre am Balkan gelebt. Mein erster Aufenthalt war 1998 in Belgrad, kurz bevor die NATO die serbische Hauptstadt bombardiert hat. Und als der Angriff losging, hat es sich angefühlt, als hätte jemand mein eigenes Haus angegriffen. Ich fühlte mich daheim „unten“, obwohl ich Französin bin. Nun, ich habe immer gesagt, dass es ein Fehler war, Serbien anzugreifen. Aber ich hatte keinen direkten Einfluss darauf, wer die Waffe gegen wen zückt.

Was ich damit sagen möchte, ist, dass die 130 Leute, die in Paris am 13. November getötet wurden, wahrscheinlich nicht mit der kolonialen Besetzung Afrikas oder mit der Bombardierung von Serbien bzw. Syrien einverstanden waren. Trotzdem lese ich: „Die Franzosen sind selber Schuld!“

Und das macht mich traurig. 

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