„Wir müssen den Gemeindebau nicht zurückerobern.“

27. Mai 2020
Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) über ihre Corona-Erkrankung, die Mietobergrenze im Neubau, die neuesten Wohnbaugebiete in der Stadt und den Kampf um den Gemeindebau bei den Wahlen im Herbst.

Von: Aleksandra Tulej Fotos: Christoph Liebentritt


BIBER: Sie gehören zu den knapp 14.000 Genesenen in Österreich. Fühlen Sie sich befreit, das Virus schon hinter sich zu haben?

KATHRIN GAÁL: Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich wieder gesund bin. Aber befreit fühle ich mich nicht. Neben dem Gesundheitsaspekt bedeutet Corona für viele Menschen in unserer Stadt eine enorme wirtschaftliche Belastung. Wir kennen das ganze Ausmaß der Krise noch nicht und der Ausnahmezustand ist auch noch nicht vorbei. Die Stadt und vor allem die Bundesregierung müssen nun mit größter Aufmerksamkeit darauf achten, dass die von der Krise Betroffenen nicht alleingelassen werden.

Hätten Sie gerne einen Immunitätsausweis, wie ihn der deutsche Gesundheitsminister zuletzt propagierte?

Über Sinn oder Unsinn solcher Maßnahmen möchte ich nicht urteilen, das überlasse ich den zuständigen Experten. Mir persönlich ist es wichtig, dass mit so einem Ausweis nicht eine Zwei-KlassenGesellschaft eingeführt wird, in der eine bestimmte Gruppe dann nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen darf.

Sie verbrachten in der Quarantäne 14 Tage in einem Zimmer, ohne ihren Mann oder Kind zu sehen. Viele Familien in Wien verfügen nicht über diesen Luxus, genügend Platz zu haben. Ist Platz für Familien in Wien leistbar?

Fast zwei Drittel der Wienerinnen und Wiener leben im geförderten Wohnbau. Das ist weltweit einzigartig und in diesem Bereich ist lebenswerter Wohnraum für Familien zum Glück definitiv leistbar. Aber natürlich gibt es auch das Drittel, das auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen ist, wo die Preise seit Jahren steigen. Um das zu verhindern, muss auf Bundesebene endlich ein neues Mietrecht beschlossen werden. Aber die ÖVP blockiert das seit vielen Jahren, auf Kosten der Mieterinnen und Mieter in ganz Österreich.

Was wäre überhaupt genügend Wohnraum – sagen wir für eine Familie mit zwei Kindern?

Eine Orientierung bieten hier die Wohnberatung Wien und die Richtlinien für den Erhalt eines Wiener Wohntickets mit begründetem Wohnbedarf wegen Überbelag. Nach dieser Regelung gilt eine Wohnung mit zwei Wohnräumen ab drei anzurechnenden Personen als überbelegt. Drei Wohnräume gelten ab fünf Personen als überbelegt.

Wieviel Prozent des Einkommens sollte die Miete ausmachen?

Das ist natürlich sehr stark von der Höhe des Einkommens, der Größe des Haushalts und auch dem eigenen Wohnbedürfnis abhängig. Der wesentliche Punkt ist für mich, dass nach Überweisung der Miete noch genug Geld für den Rest des Monats am Konto sein soll. Viele orientieren sich an der Faustregel, dass ein Haushalt nicht mehr als ein Drittel des Netto-Einkommens fürs Wohnen ausgeben soll. Aber natürlich wird das nicht immer jeder Lebenssituation gerecht. Um in Härtefällen als Stadt da zu sein, haben wir im Zuge der CoronaKrise die Beantragung der Wohnbeihilfe erleichtert.

Was macht die SPÖ, damit der kontinuierliche Mietanstieg gestoppt wird und auch sozial schwächere Menschen sich die Mieten leisten können?

Mit der Einführung der Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ haben wir sichergestellt, dass es auch in Zukunft genug Grund und Boden für den sozialen Wohnbau gibt. Und wir haben das SMART-Wohnbauprogramm massiv erweitert; zwischen 2020 und 2025 wird die Stadt Wien noch einmal zusätzlich 135 Millionen Euro in die Errichtung der populären SMART-Wohnungen investieren.

Bei der letzten Gemeinderatswahl hieß es, der Gemeindebau als rote Hochburg ist Geschichte. 2015 verlor die SPÖ bei den Bewohnern ihre absolute Mehrheit und lag mit der FPÖ ziemlich gleich auf. Wie wollen Sie die Gemeindebauten zurückerobern?

Die SPÖ muss den Gemeindebau nicht zurückerobern, denn sie war hier ja auch 2015 die Nummer eins. Aber ich war nie eine Freundin davon, sich auf Vergangenem auszuruhen. Faktum ist, der Flair des Wiener Gemeindebaus ist weltweit einzigartig und die Menschen, die dort leben, fühlen sich sehr wohl. Ich arbeite jeden Tag daran, damit das Leben im Gemeindebau noch besser wird. Lassen Sie mich nur ein aktuelles Beispiel nennen: Vor einem Jahr haben wir die Betreuung der Stiegen wieder auf Einzelbetreuung umgestellt. Bis 2019 hat ein fünf- bis sechsköpfiges Team eine Stiege betreut. Nun ist wieder nur eine einzige Person für die Stiege zuständig. Bei der Einzelbetreuung hält sich der Hausbetreuer länger und öfter in der Wohnhausanlage auf, meist sogar täglich. Dadurch entsteht ein persönlicher Bezug zu den Mietern und der Hausbesorger wird zu einer wichtigen und greifbaren Kontaktperson. Heute zeigt sich, dass diese Änderung von allen Seiten hervorragend angenommen wird. Ich bin überzeugt davon, dass die Leute am Ende des Tages schon ein Gespür dafür haben, wer wirklich für sie arbeitet, und wer nur so tut.

Warum gibt es keine Mietobergrenze beim Neubau?

Das Mietrecht kann man leider nur auf Bundesebene ändern. Und dort blockiert die ÖVP seit vielen Jahren jede Reform.

Was können Menschen aktuell tun, die sich ihre Miete durch die Krise nicht mehr leisten können?

Grundsätzlich ist allen Mietern zu empfehlen, sich im Fall von absehbaren Zahlungsschwierigkeiten möglichst früh an ihren Vermieter zu wenden. Stundungen, Ratenvereinbarungen und Räumungsaufschübe müssen vorab mit dem Vermieter vereinbart werden. Die MieterHilfe Wien steht hier jedem kostenlos mit Rat und Tat zur Seite. Und die MieterHilfe fordert auch zu Recht von der Bundesregierung, den verfügten Mietzinsaufschub und Delogierungsstopp unbedingt zu verlängern - bis absehbar ist, dass die Corona-Krise und ihre Folgen wirklich ausgestanden sind.

Werden die Miet- und Kaufpreise durch die Krise eher nach oben oder unten gehen?

Auch Corona wird nichts daran ändern, dass Wien in jeder Hinsicht eine extrem attraktive Stadt ist. Ein Magnet für Menschen aus ganz Österreich und Europa. Das ist grundsätzlich positiv. Aber es bedeutet auch, dass Wohnraum in Wien - trotz unserer großen Neubauleistung - sehr gefragt bleiben wird.

 

Interview Gaal
Foto: Christoph Liebentritt

 

Welche Stadtgebiete werden in naher Zukunft entstehen?

Wir bauen aktuell etwa im 2. Bezirk am Nordbahnhof und am Handelskai, im 3. Bezirk entsteht das Projekt Eurogate, im 7. Bezirk entwickeln wir das alte Sophienspital-Areal, in Meidling entsteht entlang der Wolfganggasse ein neuer Stadtteil, in Penzing wird gerade die Körner-Kaserne zu Wohnraum und allein in Favoriten, Simmering, Floridsdorf, der Donaustadt und Liesing entstehen unzählige weitere Projekte. Bis Ende 2020 bringen wir 14.000 geförderte und daher leistbare Wohnungen und 4.000 Wohnungen im Gemeindebau Neu auf den Weg.

Wien wurde im „The World’s Greenest Cities 2020“-Ranking zur grünsten Stadt gewählt. Wie kann das sein, fragen sich viele Wiener, in deren Straßenumläufen kein einziger Baum wächst. Welche Pläne gibt es abseits von Parks, um mehr Grün in Wiens Straßen zu bekommen?

Als Wohnbaustadträtin kann ich Ihnen dazu sagen, dass gerade der Gemeindebau enorm zur Begrünung Wiens beiträgt. Wiener Wohnen betreut sechs Millionen Quadratmeter Grünraum und mehr als 1.300 Spielplätze. Nicht umsonst war das Motto des historischen Gemeindebauwohnprogramms im Roten Wien "Licht, Luft und Sonne". Das war unglaublich visionär, davon profitieren wir bis heute. Eine Verbauung dieser Grünflächen, wie von der Opposition immer wieder gefordert, kommt für mich nicht in Frage.

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