Der Balkan hat ein Waffenproblem

08. Mai 2023

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Foto: pixabay.com

Gesichert, ungeladen und mit einem Waffenschein legal erworben: Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung am Balkan besitzt eine Pistole. Sie sind zwar in einem Tresor oder bei der Bank weggesperrt, aber sie sind dennoch da.

„Da muss wohl jemand im Nebendorf heiraten“, erklärte mir ein Großvater tiefenentspannt, nachdem ich von Schussgeräuschen zusammengezuckt bin. Wir saßen auf Klappsesseln in seinem Garten in Bosnien und tranken Kaffee. Ich war zu dem Zeitpunkt um die zwölf Jahre alt und habe nicht ganz verstanden, warum bei einer Hochzeit geschossen wird.

Und tatsächlich hörte ich einen hupenden Autokonvoi und Musik aus der Ferne. Auch wenn es für mich befremdlich war, habe ich das nie hinterfragt und bis dato als Teil unserer Kultur angenommen.

Bei jedem Sommerurlaub, den ich darauf in Bosnien verbracht habe, habe ich in der Ferne Schussgeräusche gehört und sie mit einer friedlichen Feier verbunden. Wenn ich heute darüber nachdenke, mit welcher Leichtigkeit am Balkan über Schusswaffen und den Gebrauch gesprochen wird, wird mir jedoch schnell anders. Sätze wie „Für solche Leute müsste man einfach eine Waffe nehmen und sie erschießen“ habe ich schon in diversen Gasthäusern gehört. Meist stammen sie von alten Männern, die sich beispielsweise über einen vermeintlichen Verbrecher unterhalten. Auch explizite Kriegsgeschichten werden offen an diesen Tischen rumerzählt. Wer wen wie und wann umgebracht hat und das auch mit genauen Details. Dass um sie herum Kinder sitzen und diese Sätze aufsaugen, interessiert sie nicht. Umso absurder finde ich die Aussage des serbischen Präsidenten Vučić nach dem Amoklauf in einer Belgrader Volksschule letzten Mittwoch. Bei dem Attentat sind neun Menschen ums Leben gekommen, ein 13-jähriger Schüler hat sie erschossen. Laut Vučić waren Videospiele schuld an dem Amoklauf. Diese Aussage stoß im Internet auf viel berechtigte Kritik, aber: Solche Aussagen höre ich als Balkan-Kid oft in den eigenen Reihen, schockierend ist das nicht mehr. Und das ist das Problem.

Schutz vor Feinden

„Das ist normal, jeder hat eine Waffe im Haus“, so begann häufig die Erklärung, wenn ich nachfragte, wieso man eine Pistole zuhause liegen haben muss. Gefolgt von dem Argument, dass man so Einbrecher in die Flucht schlagen könnte. Jedoch waren die Waffen ständig in Tresoren eingeschlossen. Im Ernstfall würde es viel zu lange dauern, sie herauszuholen, weshalb ich diese Aussage nie für voll nahm. Mit der Zeit verstand ich, dass der Besitz ein bloßes Zeichen von Angst ist und es gar nicht um Einbrecher im wahrsten Sinne des Wortes geht. Vor circa dreißig Jahren befand sich ein Teil des Balkans noch im Krieg. Viele Familien wurden über Nacht überfallen, ermordet oder aus ihrem Zuhause vertrieben. Die Traumata sitzen tief und genau das spiegelt sich in ihrem Umgang mit Waffen wider. Sie wollen Szenarien wie damals nicht nochmal erleben und da lässt sie allein der Besitz sich sicher fühlen.

Aber: Die Menschen am Balkan haben einen ungesunden Umgang mit Schusswaffen und müssen diesen dringend mal überdenken. Sie sind zum Teil ihres Alltags und ihrer Kultur geworden, obwohl sie ihnen noch nie etwas Positives gebracht haben. Sie sollten ihren Kindern lieber beibringen wie man Probleme mit Worten regelt, statt am Tisch übers Erschießen zu reden. Achja, außerdem können Hochzeiten auch gut ohne Schüsse in die Luft gefeiert werden.

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