Der Frieden hat auch uns verlassen

23. Juli 2016

Schwarz

Schwarz
privat

Ich habe lange gebraucht, um Worte zu finden für das, was ich empfinde. Gestern ist für uns alle ein Stück Hoffnung verloren gegangen. Gestern haben wir verstanden, dass Sicherheit und Schutz heute nirgends mehr zur Normalität gehört.

Ich bin in München aufgewachsen und auch heute bin ich in meiner Heimatstadt, um meine Eltern zu besuchen.

Die Zeit zwischen 13 und 15 Jahren habe ich im Olympia Einkaufszentrum verbracht. Es war unser Treffpunkt, der Treffpunkt schlechthin. Dort deckten wir uns mit Kajal und New Yorker Gewand ein, tranken unsere Milkshakes beim McDonalds und rauchten heimlich unsere erste Zigarette. Wir lebten auf das Wochenende hin, um ins OEZ zu fahren. Unsere Bekannten zu treffen, den süßen Jungen aus Moosach wiederzusehen. Die meisten Jugendlichen, die sich damals beim OEZ trafen, waren Ausländer. Wir waren Jugos, Türken, Albaner. Aber wir waren friedlich. Immer.

Ich bin immer gerne ins OEZ gegangen, auch wenn ich nicht mehr das Bedürfnis hatte, vor dem McDonalds rumzuhängen. Aber es beruhigte mich zu sehen, dass die Jugendlichen sich dort weiterhin treffen, Freunde haben und ihre Freizeit nicht vor dem PC verbringen. Dass immer noch 14-Jährige „Checker“ mit Käppis ihren 13-Jährigen Freundinnen mit BlingBling-Oberteilen einen McFlurry spendieren und sie an der Hand haltend ihren Kumpels präsentieren.

 

Diese pubertäre Gelassenheit des OEZs ist gestern mit den neun Opfern gestorben.

 

Vor allem der 13. November in Paris hat mich schwer getroffen. Freunde von mir waren vor Ort und ich unzählige Male an den Schauplätzen des Massakers. Aber München? München hat mich in mein Herz getroffen. Die Ungewissheit ob mein Vater, dessen Büro an das OEZ grenzt, lebt und ob meine Freunde in Sicherheit sind, war einer der größten Schocks meines Lebens. Stundenlang saßen wir zu Hause vor Handy und Fernseher, der Ausgang des Attentats noch weit nach Mitternacht unklar. Unzählige Freunde, die verschanzt in der Innenstadt unter Verkaufstheken weinend liegen, immer wieder neue Meldungen – sind noch Täter flüchtig? Ich hatte Angst auf den Balkon zu gehen.

 

Heute konnte ich nicht in die U-Bahn einsteigen. Ich konnte einfach nicht. Auch wenn ich es befürworte, sein Leben möglichst normal weiterzuleben, es geht einfach nicht.

Terroristen, Rechtsradikale, Psychopaten – ich habe den Eindruck, dass alle Wahnsinnigen jetzt zum Vorschein kommen. Wer will uns was Böses? Vor wem sollen wir uns schützen, wenn wir die Gefahr nicht einmal kennen?

 

Ich habe Gänsehaut während ich diese Worte schreibe. Immer wieder ploppen neue Nachrichten auf meinem Handy auf, immer noch wollen viele wissen, wie es mir und meiner Familie geht. Andere schicken in Gruppen Fotos von den verstorbenen Jugendlichen.

Zwei Jungs im Alter von 14 und 15 Jahren waren Schüler der Schule, an der meine Mutter unterrichtet. Sie kannte sie. Viele ihrer eigenen Schüler sind vor den Schüssen geflohen - wie soll sie am Montag diesen Kindern erklären, dass ihre Freunde tot sind?

 

Es ist eine Starre und gleichzeitig eine Leere, die die Menschen erfüllt. Und Tage, die wir nie vergessen werden. Tage, die uns lehren, dass Leben ein Privileg ist. Auch in einer Stadt wie München, auch im Jahre 2016.

 

Meine Gebete und Gedanken sind bei den Angehörigen der Verstorbenen und Verletzten. 

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