Der Tag des Zorns

28. Januar 2015

Rami in Ägypten

Tag des Zorns, Ägypten, Demo
Foto bereitgestellt.

Straßenschlachten gehörten vor 4 Jahren zum ägyptischen Alltag, tausende Menschen kamen während des arabischen Frühlings ums Leben. Wir haben uns gefragt, wie die Lage heute aussieht. Auskunft gibt uns Rami Ali, Klubobmann der ägyptisch-österreichischen Jugend und engagierter junger Mann gegen die Diskriminierung der Muslime in Österreich.

von Natalija Stojanovic

4033Heute vor 4 Jahren haben die Aufstände in Ägypten im Zuge des arabischen Frühlings ihren Höhepunkt erreicht. Kannst du uns etwas über den Tag des Zornes vor 4 Jahren erzählen?

Aus terminologischer Sicht stammt der Begriff ja eigentlich aus der Ecke der Muslimbruderschaft, die sich maßgeblich an der Revolution beteiligt hat. Er wurde aber in selber Form von den Revolutionären übernommen. So galt der 28. Jänner, sowohl in Ägypten als auch außerhalb, als Tag des Zorns. Man kann durchaus sagen, dass  der 28 Jänner der bedeutsamste Tag der ägyptischen Jänner-Revolution war, wenn auch der gewaltsamste, seit Beginn der Revolution. Mit der verhängten Ausgangssperre, dem brutalen Vorgehen gegen die Demonstranten seitens der Sicherheitskräfte und weiteren repressiven Maßnahmen, wurde- wenn man so will- die Jugend nur noch mehr angeheizt, was sich dann auch in der In-Brand-Setzung der NDP-Zentrale äußerte. Der „Point of no return“ war somit erreicht. Noch am Abend dieses Tages bekräftigte Mubarak, der mittlerweile von allen Urteilen freigesprochen wurde, das Vorgehen der Sicherheitskräfte und versicherte, er würde im Amt bleiben, was von den revolutionären Gruppen als klare Kampfansage gedeutet wurde.
 

Wie ist die Lage 4 Jahre später?

Die Unterdrückung politischer Gegner hat eine komplett neue Dimension erreicht, so auch die Manipulation durch die Medien. Die Machtposition des Militärs unter Mubarak hat in den letzten Jahren stark unter diversen Krisen und den katastrophalen Umständen gelitten. Die Leute hatten die Korruption, die Armut, die Unterdrückung schlicht und einfach satt. Kleiner Demonstrationen wurden brutalst niedergeschlagen, was zur Einschüchterung des gesamten Volks führte. In Nacht-und Nebelaktionen sind politische Aktivisten ihren Familien entrissen worden und unter schrecklichen Bedingungen wegesperrt worden. All dies sollte beendet werden. Deshalb auch die Revolution. Doch man kann getrost sagen, dass trotz all dieser Miseren, das Militär nun fester im Sessel sitzt als je zuvor. Wurde ihre Position schon vor der Revolution angezweifelt, scheint sie jetzt, für weitere Jahre, zementiert zu sein. Das Militär hat es geschafft, das Volk zu spalten und einen Nationalfeind zu positionieren: Die Muslimbrüder. Diese würden den „Fall Ägyptens“ planen, was mit den absurdesten- aber zugegeben fantasievollsten- Medienberichten ständig bestätigt wird. Es würden nur Muslimbrüder demonstrieren und auf die Straßen gehen, eben weil sie den „Aufstieg“ Ägyptens verhindern wollen.

Beeinflusst wird der Bürger durch manipulative Medienberichte sowie die Konstellation, wir (Ägypter) gegen die Landesverräter (Muslimbrüder), die mit den Urfeinden Ägyptens kooperieren, nämlich USA und Israel.

Es überrascht mich und frustriert mich zugleich, wie sehr sich das ägyptische Volk hinters Licht führen lässt. Also kurz: Wir stehen momentan schlechter da als je zuvor und das nicht nur aus demokratiepolitischer Perspektive. Wenn ein Teil eines Volks das Töten eines anderen Teil des Volkes als legitim erachtet, ja gar als wünschenswert… dann stimmt was nicht, gelinde ausgedrückt.

 

4020Warst du während der Proteste selbst in Ägypten?

Während der Jänner-Revolution leider nicht. Aber wenige Tage nach dem Putsch bin ich runtergeflogen und nahm an diversen Freitagsdemos teil, von denen eine über 1.5 Millionen Demonstranten zählte. Es ging um das Recht der Opfer der Jänner-Revolution. Wir verlangten die Bestrafung  der zuständigen Offiziere und Regimeleute zu denen auch Mubarak und seine Vertrauten gehörte.( Mittlerweile sind die alle auf freiem Fuß, was eine sehr deutliche Sprache spricht…)
Gerade weil es meine derart heikle Angelegenheit ging war die Demo sehr rührend. Ich hatte noch nie ein derartiges Gefühl. „Ya shaheed roo7 wethana, estanana 3ala bab el ganna“, schrien wir mit Tränen in den Augen und hielten uns an den Händen fest. Übersetzt bedeutet das etwa, „Oh du Märtyrer ruhe in Frieden und erwarte uns am Tor des Paradieses“.
Das Gefühl war unbeschreiblich. Eine Mischung aus Trauer, Mitgefühl, Einigkeit, Patriotismus, Zorn, Frustration, Optimismus und Pessimismus zugleich.

Wie war die Stimmung nach dem Putsch?

Kurz und prägnant: Ein Teufelskessel. Die großen Katastrophen der ägyptischen Geschichte sollten ja folgen. Die Massaker am Rabia Al-Adawiya Platz, am Nahda-Platz und der vor dem Präsidialpalast. Bei gewaltvollen Räumungen wurden hierbei einfach wahllos friedfertige Demonstranten erschossen, haufenweise. Vor allem das Rabia-Massaker ging in die Geschichte ein. Amnesty spricht von etwa 1000 Toten in nur wenigen Stunden. Insider sprechen von 3000-5000 Toten und beziehen sich hierbei auf Videos und Bilder verkohlter Leichen. (Das Militär und die Sicherheitskräfte zündeten bewusst Zelte mit Verletzten und Toten an). Danach wurde die Muslimbruderschaft verboten, das Demonstrationsrecht eingeschränkt und von nun an gingen Sicherheitskräfte und Militär mit äußerster Gewalt gegen Demonstranten vor. All dies heizte die Stimmung noch mehr an. Es kam vereinzelt zu Straßenblockaden, Protestaktionen und in Folge dessen zu Massenverhaftungen und skandalösen Massentodesurteilen.

Die wohl allergrößte Veränderung die der Putsch mitbrachte war aber gesellschaftsspezifischer Natur. Ägypten war für mich, als Ausgleich zu einer Wiener Gesellschaft, grantig und nicht grad sehr freundlich im Umgang miteinander, einfach eine riesige Inspiration. Heute sieht es so aus: Sag mir zuerst zu welchem Lager du gehörst und dann entscheide ich ob ich helfe. Kein Witz…

Würdest du sagen, die Lage hat sich seit dem Putsch verbessert?

Kein bisschen. Ganz im Gegenteil. Wie gesagt, die Konterrevolution ist geglückt. Die Mörder unserer Geschwister sind frei. Ägypten steht wirtschaftlich so schlecht da wie seit Jahrzehnten nicht. Die Armut wird immer mehr und ein Skandal folgt dem nächsten. Von Demokratie ist weit und breit kein Schimmer zu sehen. Die einzigen, für die sich die Lage verbessert hat, sind regimetreue Leute, Geschäftsmänner (die jetzt wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung: Korruption und politischer Manipulation nachgehen können), aber auch für Sicherheitskräfte und Militär, deren Gehälter man- als einzige- anhob um sie weiterhin im Kampf gegen die „Landesverräter“ zu motivieren.

Erzähl doch bitte etwas über deine Tätigkeit bei der ägyptisch- österreichischen Jugend?

Meine Tätigkeit gibt’s nicht. Wir machen alles zusammen. Ich vertrete als Obmann den Verein lediglich nach außen und bin Letztverantwortlicher für Erfolge und Misserfolge. Unsere Tätigkeiten umfassen eigentlich ganz viele Bereiche. Kultur, Soziales, Sport, Politik etc.

Was wir ganz gerne machen, ist aktuell relevante politische- teilweise medial vorbelastete Themen- aufzugreifen und sachlich- meist in Form von Podiumsdiskussionen und oder Vorträgen- abzuarbeiten. Unsere letzte war zum Thema „Rechtsruck in Europa- Gefahr für den sozialen Zusammenhalt?“ mit den unterschiedlichsten Positionen von Politologen Thomas Schmidinger, bis hin zu EU-Vizepräsidenten des EP Ulrike Lunacek. Auch am Thema „Islam und demokratischer Verfassungsstaat“ haben wir uns rangetastet. Wir versuchen, im Zuge von Diskussionen, so viele Positionen wie möglich einzubeziehen um das Ganze aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und so jedem/jeder die Möglichkeit lassen, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Aktuelle Aktivitäten sind etwa der „Muslim-Jewish Dialogue“ den wir mit der Jüdischen Hochschülerschaft bzw. FFEU (Foundation for Ethnic Understanding) organisieren; dabei treffen wir uns regelmäßig um ganz spezielle Themen aus der Perspektive des Judentums und des Islams zu beleuchten und stoßen dabei nicht selten auf überwältigende Parallelen.
 

Was ist dein Statement zur aktuellen Islamdebatte?

Mein Statement ist, dass die Islamdebatte zu einem rein politischen Statement geworden ist. Da weiß man gar nicht wo man anfangen soll. Das Islamgesetz mag ich gar nicht näher ausführen. Da müsste glaub ich jede/r , der/die sich dafür interessiert, selbst festgestellt haben, wie diskriminierend das ist. Dazu muss man auch gar kein Moslem sein; sind ja auch namhafte Juristen wie Potz oder Öhlinger dagegen. Fakt ist, dass die Islamdebatte in das Islamgesetz eingesickert ist und der Eindruck entstanden ist, es handle sich um Anlassgesetzgebung. Leider spielt das sowohl religiösen Fundamentalisten, wie auch Rechtsradikalen in die Hände. Religiöse Fundamentalisten brauchen jetzt nicht mehr sagen: „Bruder, die wollen uns hier nicht, merkst du das denn nicht?“ sondern es reicht ein „Bruder, schau dir mal das Islamgesetz an“. Für Rechtsradikale heißt es jetzt nicht mehr „Heast, da san a poa die sich ned integrieren, haumas ausse“, sondern „Heast, die greifen uns an die Oagen, die gewalttätigen Mohammedaner, Terroristen überall!“ Dadurch füttern sie ihre Ideologien gegenseitig.

Warum es meiner Meinung nach zum politischen Statement geworden ist lässt sich ganz kurz erkläre: Populismus scheint die Tage ziemlich in zu sein und Fischen im blauen Wählerteich auch. Sebastian Kurz versucht sich als „starker Mann“ zu etablieren, indem er seinen Kritikern beweist, dass er „keinen Kniefall vor den Muselmanen“ macht, siehe sämtliche Kommentarfelder diverser Zeitungen. Bringt dann Aussagen wie „Manchmal müssen Gesetze auch über die Interessen einzelner Gruppen hinweg erlassen werden“. Faymann traut sich, trotz mehrmaligen Nachfragens, nicht zu bestätigen, dass der Islam zu Österreich gehört.

Alles in Allem scheint die Islamdebatte zu einem populistischen politischen Instrument der Wähler_innenmobilisierung Pre-Wahl geworden zu sein.

Was isst du lieber? Sushi oder Pizza?

Die arabische Identität in mir wehrt sich vehement gegen die Idee des Verzehrs von rohem Fisch. Ich habs ehrlich gesagt noch nie gekostet, habe ich auch nicht vor. Deshalb ganz klar: Pizza.

 

Fotos: Bereitgestellt

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