Generation „Dauer-Online“

19. April 2023

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Smartphone-Besitz von Kindern ©Statista 2023

Sonntagnacht, 1:30 Uhr – Mein Zimmer ist dunkel, die WG schon seit Stunden verstummt. Die einzige Licht- und Tonquelle, die sich durch die Dunkelheit zieht, kommt von meinem Smartphone, auf welchem ich schon seit Mittag von einer Social Media App auf die nächste wandere. „Self-Care Sunday“ nenne ich das, obwohl dieser exzessive Smartphone-Konsum nicht weiter von Self-Care entfernt sein kann. Dass ich Montagmorgen um sieben Uhr aufstehen muss, um mich für die Arbeit fertig zu machen, interessiert mich schon lange nicht mehr. Acht Stunden Schlaf sind eh überbewertet, fünf Stunden müssen reichen, ganz nach dem Motto: „Take it or leave it“.

Mit dieser Einstellung bin ich nicht allein. Realisiert habe ich das, als ich einem Freund nachts um zwei Uhr einen Meme auf Instagram zuschickt und binnen weniger Minuten ein „LOL“ als Antwort erhalten habe. Beim Vergleichen unserer Bildschirmzeit, welche bei mir an manchen Tagen bei über zehn Stunden liegt, ist mir aber erst das Ausmaß des Problems bewusst geworden. Zehn Stunden, fast die Hälfte des Tages, verbringe ich in der digitalen Welt. Wenn von der restlichen Zeit noch Schlaf abgezogen wird, bleiben nur noch wenige Stunden für mein „restliches, reales Leben“. Meinen Konsum in einer Zahl zu Gesicht zu bekommen, ist aber jedes Mal wie ein Schlag in die Magengrube. Aber woher kommt diese Social Media- und Bildschirmabhängigkeit überhaupt?

Mein Jahrgang wurde als der „Corona-Abitur“-Jahrgang bezeichnet, da das Schulabschlussjahr genau auf die Hochphase der Pandemie viel. Der Unterricht lief größtenteils digital, also vor einem Bildschirm. Soziale Medien waren, Lockdown bedingt, dazu die einzige Verbindung zur Außenwelt. Naheliegend ist also, dass gerade zur Pandemiezeit der generelle Smartphone- und Social-Media-Konsum gestiegen ist. Außerdem waren News rund um die Pandemie und den Virus ebenso online zugänglich. In meinem Fall ist es vermutlich so: Covid trägt Schuld an meiner Sucht.

Ganz so easy ist das dann aber doch nicht - mein Konsum ist zwar höher geworden, aber auch vor der Pandemie konnte ich ohne mein Smartphone in der Tasche das Haus nicht verlassen.Treffen mit meinen Freunden bestanden teilweise aus „nebeneinander auf dem Bett liegen und aufs eigene Handy starren“ und auch in der Schule wurde das Handy in den langweiligen Chemie-Stunden schnell als Ablenkung gezückt. Angefangen hat das erst in meinen späteren Teenagerjahren. Mit 13 habe ich mein erstes Smartphone, verglichen zu anderen, etwas später bekommen. Meine ersten Apps waren WhatsApp, Pou und Doodle Jump. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich auf Empfehlung meiner Freunde in die Welt der Sozialen Medien eintauchte. Von da an bestand meine abendliche Routine aus am Handy scrollen, anstelle von Büchern lesen, wie es davor der Fall war. Meiner Mutter, die mir noch immer Bücher zu allen Anlässen schenkt, mitzuteilen, dass ich seit Jahren kein richtiges Buch mehr fertiggelesen habe, bringe ich nicht übers Herz. Meine Konzentrationsspanne reicht gerade noch für ein anderthalbminütiges Video auf TikTok, was sich auch in meinem Uni Alltag bemerkbar macht. Lange Vorlesungen sind schwer zum Folgen und selbst eine kleine Fliege an der Wand kann schnell zur Ablenkung werden.

Laut Statista besitzen schon 54 Prozent der Kinder in der Altersgruppe von 10- bis 11-Jährigen heutzutage ein Smartphone. Bei ihnen könnte der Prozess also noch früher beginnen. Knapp ein Drittel der 8- bis 9-Jährigen besitzen ebenso ein Handy. In diesem Alter kann ein Smartphone zu einer Reizüberflutung führen und negative Auswirkungen auf die Kreativität des Kindes haben. Auch sind Kinder anfälliger für Manipulation und Hetze und können schnell Opfer von Internetpersönlichkeiten wie Andrew Tate werden, die toxische Maskulinität propagieren. Selbstverständlich haben das Internet und unsere digitale Lebensform auch positive Seiten: Durch Soziale Medien können wir leichter mit Menschen in Kontakt bleiben und eine Community finden, mit der wir uns identifizieren können. Jedoch sollte man sein Smartphone und das Internet wie viele Dinge in Maßen konsumieren. Meine Bildschirmzeit war wie ein Weckruf für mich. Nun versuche ich an meinem exzessiven Konsum zu arbeiten, indem ich beispielsweise mein Smartphone beim Spazieren gehen zuhause lasse, oder es eine Stunde vor dem Schlafengehen ausschalte. 

Die digitale Welt ist zwar schön, aber nichts übertrifft die Realität. 

 

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