Ich singe wie ich will!

08. Oktober 2020

Bin ich Kroatin aus Bosnien, Bosniakin aus Kroatien oder doch nur Kroatin? Von Diaspora-Kindern werden bestimmte Antworten verlangt. Ein ewiger Test der Loyalität gegenüber seiner Nation und deiner Landsleute. Warum ich heute bestimmter und bewusst provokativ auf solche idiotischen Fragen antworte.

 

Mein Bruder und ich sind in einem kleinen Supermarkt, damals der einzige in diesem kleinen dalmatischen Kaff. Während wir diskutierten, welches Eis wir uns kaufen wollen, bemerkte die Verkäuferin unseren bosnischen Dialekt und fragte uns provokant: „Seid ihr Kroaten aus Bosnien oder Bosniaken aus Kroatien?“. Ich war damals fünf Jahre alt und Begriff zum ersten Mal, dass sie vor allem wissen wollte, welcher Religion ich angehöre.

Jugo-Sprache, falsche Sprache

Er ist frustrierend und traurig zugleich: der ständige Hass innerhalb der Ex-Yu- Community. Die Kroaten gegen die Bosniaken, die Serben gegen die Kroaten und im Endeffekt eh jeder gegen jeden. Manchmal subtil genug um ihn zu leugnen, manchmal so offensichtlich und dreist, dass ich meine Wut darüber nicht verstecken kann. Wir Kids der Diaspora werden von klein auf damit konfrontiert, wen wir auf keinen Fall in Zukunft daten dürfen, welche Musikrichtung wir nur in Abwesenheit unserer Eltern hören können und welcher Dialekt der „richtige“ ist.

Bei uns Zuhause wurde serbo-kroatisch gesprochen, damit sind meine Eltern aufgewachsen und haben es mir dementsprechend anerzogen. Türkische Lehnwörter im kroatischen sind bei uns nach wie vor Gang und gebe. Die Schwester einer damaligen kroatischen Freundin brachte mich als Jugendliche ins Stutzen als sie meine Aussagen kritisierte. Ich solle aufhören, die türkischen Wörter zu benutzen und reines Kroatisch sprechen. Gott behüte, die Leute würden denken ich wäre Muslima!  

Verbotene Liebe „Balkan Edition“

Nicht nur auf die Wortwahl ist laut des Vorzeige-Kroaten zu achten, du darfst auch auf keinen Fall „den Feind“ daten oder noch schlimmer: heiraten. Sonst ginge ja unser heiliges Christentum auf dem Balkan früher oder später vor die Hunde und dein Mann würde dich sowieso zum konvertieren zwingen (Bosniaken sind meist Muslime, Kroaten Katholiken und Serben serbisch orthodox).Schön auf dem patriotischen Pfad bleiben ist die Devise, zumindest versucht man mir das seit ich denken kann einzubläuen. So haben sich zum Beispiel viele Leute in meinem Bekanntenkreis von ihren muslimischen/orthodoxen Partner:innen getrennt. Der Beweggrund dafür ist in den meisten Fällen der Druck der Eltern, die diese Liebe nicht akzeptieren wollen. Du wirst vor die Wahl gestellt. Entscheide dich: Liebe oder Familie?

Kleine aber bekloppte Verbesserungen

Selbst bei Musik hört dieses faschistische Herumgemaule nicht auf. Im Auto läuft ein Song von Saban Saulic. Ich singe vollen Herzens mit, freue mich meines Lebens und genieße einfach die Musik. Meine Bekannte singt ebenfalls mit, macht aus „lepo“ aber „lijepo“ (lepo=schön). Die serbische Aussprache verändert sie ganz stolz, Sie stülpt dem Originaltext ihre ijekavische, also die von Kroaten gesprochene Variante über. Aus Protest wie sie mir später erklärt. Dasselbe erzählt mir ein Bekannter, der an Wochenenden sein Geld mit Auftritten auf kroatischen Geburtstagsfeiern verdient. Seine Klienten meinen, er solle alle Songs auf ijekavisch abwandeln und damit die Lieder für die patriotischen Gäste „angenehmer“ machen. Er sollte sogar den Song „Djurdjevdan“ von Bijelo Dugme aus dem Programm nehmen (Djurdjevdan ist ein wichtiger orthodoxer Feiertag und wird in Serbien gefeiert). Würdet ihr einen Song eines deutschen Interpreten konsequent mit österreichischem Dialekt singen, nur um ja nicht für deutsch gehalten zu werden? Eben.

Hey zivote, die Faschos machen mich müde

Der Nationalismus hat damals ein ganzes Land zerstört. Er hat Familien auseinandergerissen, Freundschaft zur Feindschaft gemacht und uns bis heute mit einem tragisch bitteren Beigeschmack zurückgelassen. Er frisst sich wie ein hartnäckiger Parasit über Generationen hinweg durch, wir tragen bewusst den Hass vergangener Konflikte mit uns herum und halten ihn auch noch voller Stolz am Leben. Wir nehmen jede Gelegenheit wahr unsere Flaggen zu schwingen und uns in patriotischen Parolen zu suhlen, ohne unser Verhalten jemals zu reflektieren, uns zu Fragen: warum trage ich den Hass meiner Eltern weiter und halte an sinnlosen faschistischen Ideologien fest?

Heute bin ich selbstbewusster, wenn mir jemand die Frage nach meiner Herkunft stellt. Die Leute sind verwirrt, wenn sie dann auch noch meinen serbischen Namen hören und ich ihnen anmerke, sie wissen mich nicht in ihre veralteten Schubladen einzuordnen. Heute würde ich der Frau an der Kasse antworten: Ich bin aus Bosnien, habe einen serbischen Namen und einen kroatischen Pass. Und du so?

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