"Meine Stange ist zuverlässiger!"

11. Januar 2016

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poledance wien
Foto:Pixabay

Sie sind kontroverse Sportlerinnen und sorgen mit ihrem Körper des Öfteren für Aufruhr: Die Poletänzerinnen. Ich besuche das bekannteste Poledance-Studio Wiens, um das Geheimnis des Stangentanzes zu enthüllen.

Schüchtern betrete ich den Raum, der auf den ersten Blick sehr feminin erscheint und nach Kerzen duftet. Ein Mädchen zieht sich in der Umkleidekabine um, sie macht den Eindruck, eine von den Kursteilnehmerinnen zu sein. Ich ergreife die Gelegenheit und frage, was sie von dem Kurs halte. „Oh, es ist wunderbar. Ich wollte schon vor einem Jahr mitmachen, da war ich leider noch zu jung."

Meine Augen weiten sich, als ich erfahre, dass das Mädchen mit den zehn Zentimeter hohen Stöckelschuhen und knallrotem Lippenstift erst 18 Jahre alt ist. Wer an der Stange herumschwingen will und noch minderjährig ist, muss die Einverständniserklärung eines Erziehungsberechtigten vorlegen. Interessant.

Poledance ist längst (trotz der unzähligen Klischees und unerschütterlicher Skepsis seitens der konservativen Kreise dieser Welt) zur angesagtesten Frauensportart geworden. Das Wort „Sport“ wähle ich bewusst, denn Poledance soll bei den diesjährigen Olympischen Spielen in Rio de Janeiro als Demonstrationssportart eingeführt werden. Auch ursprünglich hat Poledance sehr viel mit Athletik zu tun. Was heute als eine Mischung aus Fitness, Tanz und Akrobatik angesehen wird, hat seine Wurzeln im chinesischen Staatszirkus.

Doch was macht Poledance so besonders und warum sind immer mehr Frauen davon besessen? Ich mache mich auf den Weg zum Vienna Poledance Studio, um hoffentlich Antworten genau auf diese Fragen zu finden.

Sabine*, eine der Kursleiterinnen, widmet mir großzügig ihre Pause und erzählt begeistert (während sie Stangen aufmontiert) von ihrer ersten Erfahrung mit Poledance. 2011 hat sie sich erstmals von der Euphorie einer Freundin anstecken lassen und dem Anfängerkurs eine Chance gegeben. Bereits nach der ersten Stunde war eines für sie klar: Es war Liebe auf den ersten Spin! Darauffolgend haben beide Freundinnen geschwind eine Stange in der WG aufgestellt und die Übungsstunden hatten kein Ende mehr.

Knappe Outfits und Vorurteile

Ursprünglich war Sabine immer sehr desinteressiert an Fitness gewesen und konnte sich für keine Sportart, außer fürs gelegentliche Tanzen, begeistern. Auf die Frage, was Poledance für sie so besonders mache, antwortete sie mir schwärmend: „Es ist nicht nur eine Tanzkunst, sondern auch ein richtig hartes Workout. Die Fortschritte sind unglaublich greifbar, weil man jede einzelne Stunde etwas Neues dazulernt. Es ist weder monoton noch vorhersehbar und seelisch sehr bereichernd."

Trotz stetiger Popularität hat Poledance noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen. Sabine ist 26 und möchte nicht fotografiert werden, um die Seriosität ihres Berufs nicht zu gefährden. Die Freizügigkeit sei ein Hindernis. Sie unterrichtet auf einer Tagesschule und, obwohl die Schulleitung ihr Hobby zwar „cool“ finde, möchte sie nicht, dass es der ganzen Schule zu Ohren kommt. Persönlich wäre es Sabine gleichgültig, wenn sie jemand halbnackt an der Stange „erwischen“ würde. Dennoch muss die Entscheidung respektiert werden.

"Cellulite-Lampen" bleiben ausgeschaltet

Poledance und Freizügigkeit sind Begriffe, die miteinander einhergehen. Es werden heutzutage noch tonnenweise Vorurteile über die Kleidungswahl der Sportlerinnen verbreitet. Doch die knappe Bekleidung ist rein aus praktischen Gründen notwendig und hat wenig mit der äußeren Erscheinung zu tun. „Wenn du Kleidung trägst, fliegst du ganz einfach auf die Fresse“, erklärt mir Sabine. Es gebe zwar Spezialanzüge, von denen halte sie aber nichts. Die Körpernacktheit sei sehr wichtig, denn die meisten Figuren beruhen auf Hautberührungen mit der Stange.

Wenn man so viel nackte Haut zeigt, kann es manchen Frauen schwerer fallen, sich vor anderen zu „entblößen“. Aus diesem Grund gibt es in den Übungsräumen nur sanfte Beleuchtung, damit sich die Kursteilnehmerinnen wohler fühlen. Akzeptanz und positive Atmosphäre sind von großer Bedeutung, damit man sich voll und ganz auf den Sport konzentrieren kann. Es gibt aber auch die sogenannten „Cellulite-Lampen“ (grelles Licht), die während des Trainings abgeschaltet bleiben und dann beim Putzen zur Geltung kommen. Jede Frau, egal welchen Körpertyps, soll sich sexy fühlen können.

Über Rumba regt sich niemand auf

Apropos sexy. An dieser Stelle frage ich mich, was an „knapp“ und „sexy“ so problematisch ist? Viele Tanzarten unterstreichen die Weiblichkeit der Frau und niemand scheint dies als störend zu empfinden. „Na, über Rumba regt sich niemand auf. Und warum nicht? Weil es ein Paartanz ist“.

Sprich, weil ein Mann dabei ist. Des Öfteren musste Sabine blöde Sprüche über sich ergehen lassen, sobald Männer von ihrem Hobby Kenntnis erlangten. „Ich habe auch eine Stange für dich“, machten sie sie blöd an. Für jegliche Anmachsprüche hat Sabine nichts übrig: „Ja, die hat er, aber meine Stange ist zuverlässiger!“

Das fand ich ganz schön schlagfertig und auch wenn ich gerne länger geplaudert hätte, muss ich schnell meine Sachen packen, weil Sabine gleich den darauffolgenden Kurs leiten muss.

Als ich das Gebäude verlasse, fühle ich mich eigenartig glücklich. Was ist nun an Poledance so besonders? Es ist so viel mehr als nur Figuren auf einer Stange meistern können. Poledance ist eine ganze Lebensphilosophie. Es füllt einen mit Energie, kräftigt den Körper und hebt immer die Laune. Die Positivität ist ansteckend. Außerdem ist es körperlich sehr fordernd und verlangt große Disziplin. Trotzdem ist es unglaublich befreiend.

„Tja. Das Poledance-Fieber hat auch mich gepackt“, denke ich mir grinsend als ich zu Hause meinen Laptop öffne und mich für den nächsten Kurs anmelde.

 

*Name von der Redaktion geändert.

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