Ohne Heimat aber überall zu Hause

19. Februar 2016

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Ohne Heimat aber überall zu Hause
Foto: pixabay.com

„Ohne Heimat sein heißt leiden“, meinte Dostojewski, der sich in seinen Werken mit der menschlichen Psyche beschäftigte. Lange Zeit dachte ich das auch. Jetzt nicht mehr. Denn ich habe verstanden, dass Heimat überall sein kann und nicht unbedingt genau dort, wo man geboren und aufgewachsen ist.

Als ich zehn Jahre alt war, ist meine Familie von meinem Geburtsort Chisinau in Moldawien nach Bukarest, Rumänien, wo mein Vater arbeitete, gezogen. Die Integration war für meine Schwester und mich extrem locker. Moldawien war früher ein Teil von Rumänien, also spricht man dort dieselbe Sprache und hat im Grunde die gleiche Kultur – etwa vergleichbar mit Österreich und Deutschland.  Und ähnlich wie bei der Österreich-Deutschland Beziehung, betrachtet man sich selbst als dem anderen überlegen, oder zumindest als unterschiedlich. In der Schule wurde ich gefragt, ob wir in Moldawien Fernsehen haben. Das hat mich am Anfang gestört, aber dann habe ich verstanden, dass die Kinder wirklich keine Ahnung über Chisinau hatten.

Ich verbrachte meine Jugend in Bukarest und habe sehr schöne Erinnerungen an damals. Trotzdem blieb ich immer das Mädchen von der anderen Seite des Prut (des Flusses, der Moldawien von Rumänien abgrenzt). Aber das war nicht schlecht gemeint. Ich fühlte mich wie eine Einwohnerin, die halt nicht dort geboren worden war. Meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich ins Ausland studieren gehe. Ich wollte das auch, aber gleichzeitig wollte ich nicht weg, jetzt, wo ich mich wie zu Hause zu fühlen anfing. Trotzdem ging ich nach der Matura nach Wien zum Studieren, wo alles neu war – die Sprache, die Kultur, die Mentalität.

Hier stieß ich auf die Frage: „Woher kommst du?“. Woher komme ich? Sollte ich sagen, dass ich aus Moldawien komme, weil ich dort geboren bin, oder sollte ich sagen, dass ich aus Rumänien komme, weil ich die Hälfte meines Lebens dort verbracht habe? Ich antwortete immer unterschiedlich. Aber empfand keines von beidem als richtig. Dann fing ich an, über meine Identität nachzudenken. Bin ich Moldawierin oder Rumänin?

Diese existenzielle Frage ging so weit, dass ich meinen Eltern fast Vorwürfe machte, warum sie nicht an einem Ort geblieben sind. Ich habe festgestellt, dass ich meine eigene Identität nicht kenne, oder besser gesagt, mich weder mit Rumänien noch mit Moldawien identifiziere, obwohl ich die Staatbürgerschaft von beiden besitze. Aber jeder Mensch muss eine Identität oder besser gesagt eine Nationalität haben. Muss er wirklich? Man denkt ja, jeder hat irgendwo seine Wurzeln, seine Heimat. Das ist wahr. Aber was passiert, wenn man Wurzeln überall dort schlägt, wo man hingeht? Ich fühle mich zu Hause, wenn ich in Moldawien bei meinen Großeltern bin, wenn ich in Bukarest bei meinen Eltern bin und ich fühle mich zu Hause in Wien, wo ich bloß seit fünf Jahren wohne. Aber ich fühle mich weder als Moldawierin, noch als Rumänin und noch weniger als Wienerin. Ich habe Menschen mit einer ähnlichen Geschichte wie der meinen kennengelernt. Einige wissen genau, wer sie sind. Aber es gibt auch Menschen, die wie ich keine Ahnung haben. Müssen wir das unbedingt wissen? Ich dachte, ja, und ich glaube, wir sind mit dieser Logik aufgewachsen. Deswegen ist die nächste Frage nach dem „Wie heißt du?“,  „Woher kommst du?“. Unsere Nationalität definiert uns: Doch in der letzten Zeit passiert das immer weniger. Wir sind alle zu Wanderern geworden und das aus unterschiedlichen Gründen. Meiner Meinung nach muss sich eine Person nicht unbedingt mit einem Land identifizieren – und eventuell sich einem Stereotyp anpassen. Man sollte auch akzeptieren, dass einige von uns von nirgendwo und von überall sind. 

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