Polen: Wie ein toter Papst das Land spaltet

05. April 2023

Er ist zwar schon seit 18 Jahren tot und seine Amtszeit zwei Päpste her, für die Polen kann es aber nur einen geben: Johannes Paul II, der von 1978 bis zu seinem Tod 2005 im Vatikan waltete. Das ehemalige kirchliche Oberhaupt wurde jahrelang von seinen Landsleuten auf ein Podest gestellt, ja ein regelrechter Kult rund um ihn wurde aufgebaut. In jeder polnischen Stadt findet man zumindest eine Johannes Paul II-Straße, Kreuzungen, Spitäler und Schulen die nach ihm benannt wurden, gefühlt jede polnische Großmutter trägt sein Antlitz im Geldbörserl. Anfang März diesen Jahres wurde auf dem polnischen Privatsender TVP24 die Fernsehdokumentation „Franciszkańska 3“ (Das ist auch die Adresse der Krakauer Erzdiözese) ausgestrahlt – die Reportage erhebt schwere Vorwürfe gegen den Geistlichen: Demnach sollte er zu seiner Zeit als Bischof Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche vertuscht haben und pädophile Priester geschützt haben – auch bis nach Österreich. So wurde einer der mutmaßlichen Täter, der Priester Bolesław Saduś,1972 aus Krakau ins Weinviertel versetzt. Die Reportage hat eine hitzige Debatte im ganzen Land losgetreten. Dabei ist es nicht das erste mal, dass das jahrelang schier unantastbare Image des "Heiligen Vaters", wie er von seinem Gefolge gerne genannt wird, ins Wanken gerät: So hielten vor 2018 laut einer Umfrage noch 91 von 100 befragten Polen den Papst für eine "wichtige moralische Autoritätsperson". Das war kurz bevor die Investigativ-Dokumentation "Tylko nie mów nikomu (dt. Aber sag's bloß keinem)" des Journalisten Tomasz Siekielski veröffentlicht wurde, in der erstmals großflächtig, unverblümt und erschreckend roh das Thema Pädophilie in der polnischen Kirche angeprangert wurde. Nach Siekielski trauten sich dann andere: In den letzten Jahren kommen immer wieder Beweise ans Licht, das Thema wird immer wieder aufgegriffen, die Dokus und Filme werden von der Kirche und Regierung gleichermaßen getadelt, irgendein Bischof spricht nichtssagendes Beileid an die Opfer aus, irgendein Pfarrer schüttelt öffentlich verärgert den Kopf, die Linke protestiert. Dann verstummt die Aufregung wieder, bis der nächste Skandal aufgedeckt wird, so wie jetzt.  Nach einem im März 2019 von der Bischofskonferenz vorgelegten Bericht wurden in Polen zwischen 1990 und 2018 382 Geistliche als Täter registriert, die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein.

„Damals hat man eben alles vertuscht.“

Bei der polnischen Linken löste die Veröffentlichung von „Franciszkańska 3“ eine Reihe an Protesten aus, JP2-Denkmäler werden mit roter Farbe überschüttet, Kirchenaustritte (die in Polen mit einem relativ komplizierten Prozedere einhergehen) häufen sich, es wird gefordert, seine Heiligsprechung rückgängig zu machen. Gleichzeitig stehen die rechte Regierung und viele seiner Landsleute weiterhin geschlossen hinter Johannes Paul II, die „mediale Hetzjagd“ wird als Verschwörung abgetan. An seinem Todestag, dem 2. April fand in Warschau der „Nationale Marsch für den Papst“ statt, bei dem nicht nur hochrangige Regierungsmitglieder sondern insgesamt 10.000 Menschen vor Ort waren, um dem Papst ihre Unterstützung auszusprechen. Man las bei der Demo Plakate mit der Aufschrift: „Wie ein ehrlicher Mann seine Kinder, seinen Vater und seine Mutter verteidigt, so verteidigt ganz Polen Johannes Paul II.“ Der Chef der rechtsnationalen Regierungspartei Jarosław Kaczyński nannte Johannes Paul II in einem Brief an Parteimitglieder ein „Geschenk für die Kirche, für Polen und die Welt“. „Wir sind da, um seine Ehre und seinen guten Namen zu verteidigen“, erklärte er. Durch das „neue“ linke Narrativ und die „Falschinformationen“ wolle man die Werte der Kirche in ein falsches Licht stellen, heißt es im Staatsfernsehen. Eine Trennung zwischen Staat und Kirche gibt es in Polen de facto nicht, und wie so oft spaltet genau das das Land. Doch die Debatte reicht weiter über die Landesgrenzen – so verteidigte der amtierende Papst Franziskus seinen Vorgänger mit einem lapidaren „Damals hat man eben alles vertuscht.“ Doch zurück zu Polen: Glaube und Religion sind dort keine Privatsache, wage ich einmal an dieser Stelle zu behaupten. Die päpstliche Debatte wird persönlich genommen – von links als auch von rechts. Der Papstkult, mit dem die letzten Generationen aufgewachsen sind, sitzt nach wie vor tief. Das Problem: Solange die katholische Kirche sich als scheinbar unantastbare Institution halten kann, wird sich nicht viel ändern. Dafür sind die Polen zu stolz und zu blind am katholischen Auge. Laut einer 2022 durchgeführten Studie hielten 81 % der Befragten den Papst nämlich immer noch für eine "wichtige moralische Autoritätsperson." Meine Prognose: Die Zahl der Kirchenaustritte wird steigen, genau wie die Verkaufszahlen der Papst-Bildchen fürs Geldbörserl. 

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