Der Geschmack von Zuhause

01. Februar 2016

Vergangene Woche hat in der Flüchtlings- und Asylwerberunterkunft Vordere Zollamtsstraße ein Event stattgefunden, das für interkulturelle Zusammenkunft und Gemeinschaft steht. An diesem Abend waren alle Sorgen wie in Luft aufgelöst: Man hörte den Klang der Ud, irakischen Gesang und wurde Zeuge syrischer Tanzdarbietung. Die Veranstaltung hatte neben einem kulturellen auch einen akademischen Hintergrund, denn eine Master-Studentin hat dort ihre Abschlussarbeit präsentiert.

Fotos von Nikolett Kustos

Dir ist dieses Gefühl bestimmt bekannt. Du bist unterwegs, gehst an einem Café vorbei und spürst plötzlich, wie ein vertrauter Geruch durch deine Nase dringt. Woran erinnert er dich? Vielleicht an den Geruch der Suppe deiner Oma, oder doch an das Sonntagsessen mit deinen Eltern? Die Nostalgie steigt in dir hoch und du schwelgst in der Vergangenheit, überwältigt von Heimaterinnerungen.

Welche Geschmäcker erinnern dich an Zuhause?

„Taste of Home“. So heißt Anna Misovicz’ Abschlussprojekt an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Inspiriert von Marcel Prousts „Madeleine“ wählte Anna das Essen zum zentralen Thema ihrer Arbeit. Als interkultureller Verbindungspunkt soll es thematisch dazu dienen, einen zwischenmenschlichen Dialog zu schaffen und Begegnungen diverser Kulturen in Gange bringen. Im Zentrum der Veranstaltung stehen sieben Personen, die ein ähnliches Schicksal wie die BewohnerInnen des Hauses erlitten hatten und daher mit ihnen in Kontakt treten sollen. Anwesend sind auch Lehrende und Helfende von außen, Freiwillige des Hauses sowie zahlreiche Interessierte und Freunde.

flüchtling projekt

Geschmäcker und Gerüche rufen in uns ein Heimatgefühl hervor, das individuell durch unsere Erlebnisse und Erinnerungen geprägt ist. Diese Erfahrung teilen wir miteinander – egal, wie different unsere Lebenswege auch sein mögen. „Statt sich auf Unterschiede zu konzentrieren, wähle ich gemeinsame Erfahrungen und das Essen als „Vermittler“ aus, um die Zusammengehörigkeit zwischen uns zu zeigen, die uns vielleicht vorher nicht klar war“, so Anna.

Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl bringt Anna durch eine selbstgemachte Speise zum Vorschein. Sieben Personen – zum Teil selbst Flüchtlinge, zum Teil Kinder von Geflohenen – aus unterschiedlichen Ländern (Iran, Afghanistan, Rumänien, Bosnien und Herzegowina, Kap Verde und Syrien) nennen ihre Lieblingsspeisen aus der Heimat, von deren Zutaten drei (Kartoffel, Mehl und Wasser) für den Teig und Gewürze wie Vegeta, Lavendel, Estragon und Karotten für vier Geschmacksrichtungen verwendet werden. Die Bagel-Form der kreierten Mehlspeise trägt eine symbolische Funktion, für die sich Anna bewusst entschied.

 „Mit dem Kreis wollen ich und Angéla Góg (Food-Designerin) symbolisch den natürlichen Kreislauf der Dinge darstellen. Man kommt in Wien an, lebt hier sein Leben und fühlt sich auch irgendwann zu Hause. Aus "Fremden" werden "Nachbarn", nur kommt es auf diese Bezeichnungen nicht an, weil sie fluid sind und die Realität nicht gänzlich beschreiben“, erklärt Anna. 

flüchtling projekt

Durch das Loch in der Mitte wird ein Bändchen gehängt, das mit einer Nachricht an Neuangekommene in Wien versehen ist. Die Botschaft beinhaltet Worte oder kleine Wortkombinationen, die den Eingliederungsprozess (und alles was dazugehört) der Menschen in einer neuen Umgebung beschreiben oder beeinflussen.

Menschsein verbindet uns

Die Veranstaltung ist ein Erfolg. Bereits zu Beginn spürt man, dass Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Schicksale auf Augenhöhe stattfinden. Man spürt, dass ihre Geschichten wertvoll sind, weil sie einen Teil des großen „Wir“ ausmachen. Das Essen rückt schnell in den Hintergrund. Es bricht das Eis und initiiert die ersten Gespräche. Daraufhin nimmt eine Gruppe irakischer Jungs die „Bühne“ für sich ein und spielt auf der Ud und einem Synthesizer ihre Lieblingslieder aus der Heimat. Der Klang der Musik sorgt für Entspannung. Viele tanzen, klatschen oder beobachten lächelnd das Geschehen.

Nach dem Event wird vieles für mich klar. Nichts auf der Welt kann das Gefühl von Zuhause ersetzen. Man kann sich nur ansatzweise vorstellen, wie schwer es für einen Menschen sein muss, das Vertraute hinter sich zu lassen, um ein neues, sicheres Leben in einer fremden Umgebung anzufangen. Doch wie schön es ist, wenn man seine Erinnerungen teilen und weitererzählen kann? Wenn man einander willkommen heißen und mit einem „Wir“ begegnen kann?
„Wer sind WIR? Dieses „Wir“ wird im gesellschaftlichen Diskurs dem „Fremden“ entgegengestellt, als ob das Fremde nicht schon im „Wir“ inbegriffen wäre“, erzählt mir Anna und ich kann nur bestätigend nicken.

Wie Nietzsche es mal sagte: „Fremde sind vielleicht Freunde, die wir heute noch nicht kennen.“
Das stimmt, denke ich mir. Das Fremde ist zum Teil vertrauter als man glaubt.

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