Uni ist unromantisch

13. November 2015

An dem Tag, an dem ich meinen Studentenausweis in der Hand hielt, war ich unfassbar glücklich. Ich dachte: Oh Mann, jetzt fängt die beste Zeit deines Lebens an! Meine Vorstellungen, durch die Gänge der schönen Uni Wien zu schreiten, zwischen hunderte Jahren alten Büchern zu stöbern und intellektuelle Gespräche über Karl Marx zu führen, wurden circa drei Tage nach Studienbeginn zerstört.

Ich stellte mir vor, wie ich Kommilitonen treffe, die die gleiche romantische Vorstellung des Studiums haben. Mit denen ich mich nach der Vorlesung, in der ich eifrig mitredete, in ein winziges Kaffeehaus setze und wir noch mal über die Vorlesung reden würden. So könnte ich mir ja die Nachbearbeitungszeit daheim sparen und ich würde neue Perspektiven kennenlernen, verstehen lernen.

Über Liebe und Freundschaft

Ich stellte mir vor, wie ich in einem Seminar über Hegemonialtheorie einen jungen Mann treffe, der die gleichen Interessen teilt wie ich. Wie wir zusammen über Gramsci diskutieren und uns für die Prüfung abfragen. Wie wir unseren Kindern erzählen werden, ja es stimmt, man trifft seine große Liebe an der Universität.

Ich stellte mir vor, dass die Freundschaften, die zwischen Skripten, Kaffee, Prüfungen und Bier geschlossen wurden, ein Leben lang halten werden. Dass wir irgendwann alle erfolgreich sind, aber auf dem Boden geblieben und immer ein offenes Ohr für unsere Kollegen aus dem Studium haben werden.


Wollt ihr wissen, wie die Realität aussieht?

Am ersten Unitag habe ich mich verlaufen, kam zu spät und fand keinen Sitzplatz im Hörsaal. Auf den Stiegen sitzend sah ich mich um: Um die 600 Erstsemestrige, die halb gelangweilt drinnen hocken und eine Minderheit, die so tut als hätte sie einen Doktortitel in Molekularbiologie. Als die Einführungsveranstaltung zu Ende war, wollte ich mich unter die Leute mischen. Aber innerhalb von zwei Minuten waren alle weg.

Ich dachte, vielleicht sind die ja alle müde. In den nächsten Wochen ging ich brav in alle Vorlesungen, sprach diverse Leute an, die ich in meinem normalen Umfeld nicht beachtet hätte. Von Schüchternen über Nerds bis hin zu Punks. Ich redete jeden an. Nur wollte keiner so richtig, alle wollten weg aus der Uni.

Wenn man sich das Gebäude ansieht, in dem ich drei Jahre meines Studiums zugebracht habe, versteht man es ja eh. Grau-blau-braun sind die dominierenden Farben im NIG. Kein Raum zum Zusammenkommen, zusammen lernen oder sich kennenlernen.

Nichts wie weg hier!

 

Lernen für’s Leben

Okay, nach einem Monat Menschen ansprechen, habe ich ein paar coole Leute getroffen. Einige, die ich in den nächsten drei Jahren kennenlernte, wurde auch tatsächlich zu wahren Freunden. Oft bricht aber einfach der Kontakt ab, aus einem "Hallo!" wird ein Nicken, sobald das Semester vorbei ist und man keinen Nutzen von der Hausübung des anderen hat. Das mit meinem Ehemann hat auch nicht so ganz geklappt.

Wie ich euch schon erzählt habe, habe ich mit 600 anderen mein Studium begonnen. Vorprogrammiert waren: Kein Sitzplatz im Hörsaal (ich war die nächsten fünf Semester nie wieder in einer Vorlesung), Seminare, die zum interagieren da sein sollten, überfüllt mit teilweise 50 bis 60 Studenten. Professoren und Lehrveranstaltungsleiter werden niemals deinen Namen wissen, du bist a123456. Kilometerlange Schlangen vor der Studienservicestelle, die circa sechs Stunden in der ganzen Woche offen hat. Informationen nur über Umwege und nach viel Zeit und Schweiß möglich.

Adieu, Uni Wien!

Ich habe mein Studium trotz all diesem Schwachsinn endlich abgeschlossen. Und ich muss zugeben, die letzten zwei Semester bin ich mit knirschenden Zähnen in die Uni gegangen. Irgendwie konnte ich auch  die Schlaumeier und „coolen, abgefuckten“ Sozialwissenschaftler nicht mehr ertragen. Ich gebe die Hoffnung nach einem Studium, das meine romantischen Vorstellungen erfüllt, nicht auf. Nächste Uni, neues Glück.

Ich weiß, das Leben ist kein amerikanischer College-Film, aber ein bisschen wird man wohl doch träumen dürfen.

Danke Uni Wien, danke NIG, ich bin froh, euch los zu sein.

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