Wir, die Scheidungskinder

10. August 2016

Vor einigen Jahren, damals war ich 16, haben sich meine Eltern scheiden lassen. Bevor meine Mutter diese Entscheidung traf, bat sie mich um Rat. Sie wollte wissen, was ich davon halten und wie ich mich dabei fühlen würde, wenn sie sich von meinem Vater trennen würde. Als sie mich das fragte, hatte ich nur ein Gefühl: Erleichterung!

„Erleichterung?“, fragt ihr euch vielleicht:„Welche kaltherzige Bitch ist nicht bedrückt, wenn die Eltern sich scheiden lassen?“
Jene "kaltherzige Bitch“, die schon viel zu lange mitbekommen hatte, wie ungesund diese Ehe für meine Eltern ist, vor allem für meine Mama.

„Wir können ihnen das doch nicht antun!“

Viele Eltern glauben, dass eine Ehe, die in die Welt gesetzte Kinder beinhaltet, einfach halten MUSS. „Versuchen wir es für die Kinder! Wir können ihnen das nicht antun!“ Natürlich ist es für die meisten Kinder schwer, eine Scheidung der Eltern hinzunehmen, vor allem, wenn die Kinder noch jung sind.  Aber eines ist noch schlimmer, viel schlimmer mit anzusehen, wie zwei Menschen, die sich gegenseitig nicht guttun und sich absolut nichts mehr zu sagen haben, aus Schuldgefühl zusammen bleiben. Man fühlt sich unheimlich schuldig.

Jährlich sind 18.000 Kinder in Österreich von der Scheidung ihrer Eltern betroffen

Rosenkrieg – Ein Kampf auf Leben und Totschlag

Man redet oft davon, dass viele Scheidungskinder unter Depressionen, Angstzuständen, Aggressionen und anderen Symptomen leiden. Das trifft auch oft zu, keine Frage. Aber meiner Meinung nach ist an diesen Zuständen nicht nur die Scheidung an sich schuld, sondern der endlose und erbitterte Rosenkrieg vor und nach der Trennung. Natürlich versuchen die meisten Eltern diesen Krieg nicht vor den Kindern zu führen, aber glaubt ihr wirklich, Kinder bekommen das nicht mit? Wenn schon nicht den Streit selbst, dann aber zumindest die drückende Stimmung, die wie eine Giftwolke über der Familie schwebt und die unangenehme Stille, wenn man Fragen stellt.

Mein Vater war ne Bitch

Die Jahre vor der Scheidung, eigentlich die meiste Zeit davor, hat mich mehr Kraft gekostet als irgendwas sonst. Ich war noch nie ein Fan von meinem Erzeuger „Daddy“, aber ich will jetzt auch nicht ins Detail gehen, das ist ein wenig zu privat. Fakt ist aber, er hat mehr Scheiße gebaut als innerhalb eines Jahres in einer öffentlichen Toilette die Leitung hinuntergespült werden kann. Und meine Mutter hat all diese Jahre versucht, das vor uns Kindern zu verbergen, sie wollte uns schützen und den Schein einer glücklichen Familie wahren. Es hat traurigerweise auch sehr lange geklappt.

Richtig kapiert, was eigentlich zuhause abgeht, habe ich erst mit circa 13 Jahren. Der Grund, warum ich es davor nie wirklich gecheckt habe, ist, weil mein Vater generell nicht viele Unterhaltungen mit uns führte. Wenn er zuhause war, saß er am PC und eine richtige familiäre Bindung baute ich daher nur zu meiner Mutter auf. Wenn also unangenehmes Schweigen zwischen den beiden herrschte, fiel mir das meistens wahrscheinlich nicht einmal auf.


Als ich dann aber endlich verstand, was eigentlich immer wieder so alles abging zwischen meinen Eltern - wie gesagt, keine Details, aber er war ne Bitch – fühlte ich mich elendig. Wie konnte ich das nicht schon früher sehen? Wieso konnte ich meiner Mutter nicht schon früher zur Seite stehen?

Ich wollte einfach nur, dass sie wieder glücklich ist

Es war mehr als bedrückend, diese ganze Situation, die sich auch weiterhin noch viiiiiel zu lange zog. Und als sie dann endlich zu mir kam und mir erzählte, dass sie mit dem Gedanken spielt, sich zu trennen – sie hat sich fast schon geschämt für diesen Gedanken – war ich einfach nur erleichtert! Die Antwort „Ja, mach das! Keine Frage!“ kam von mir wie aus der Pistole geschossen. Ich wusste ganz genau, dass es ihr dann endlich besser gehen würde und das war eigentlich der einzige Grund, den es für mich brauchte – es gab aber noch genug andere Gründe, warum ich diese Entscheidung guthieß.

Die Scheidungsrate liegt in Österreich bei circa 41,6%

Lasst euch lieber gleich scheiden, besser für alle.

Ich spreche hier natürlich nur für mich – und für einige meiner Freunde, die ebenfalls Scheidungskinder sind und meine Ansichten teilen – aber ich kann euch versprechen, ihr tut euren Kindern keinen Gefallen, wenn ihr einfach zusammen bleibt. Ich hatte vor der Scheidung und während der Zeit des Prozesses – währenddessen ein erbarmungsloser Rosenkrieg seitens meines Vaters bis zum erbitterten Ende weitergeführt wurde – Schlafstörungen, Stress-Attacken und noch genug anderen Scheiß, der mich schwer belastete. Aber danach, als endlich alles vorbei war und ich mit einer erleichterten Mutter und einem Problem-Vater weniger zuhause wohnen konnte, ging es mir besser als je zuvor. Auch in Fällen, wo der einzige „Fehler“ beider Eltern ist, dass sie sich nicht mehr lieben, wird es den Kindern mit zwei getrenntlebenden glücklichen Eltern besser gehen, als mit zwei unglücklichen Stressbündeln in einer Partnerschaft.

 

Nicht nur kaputte Ehen können Schaden anrichten, auch manche Beziehungen sind ungesund und sollten ein schnelles Ende finden!: Beziehung? Nein danke!

 

Blogkategorie: 

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

15 + 2 =
Bitte löse die Rechnung