Jung & Schön

28. Juli 2014

Es war ihr erster Besuch bei ihrem Vater nach unserer Trennung. Er wollte beide bei mir abholen. Ich hatte nichts Großartiges an, nur ein Shirt und ein Paar alte Jeans. Aber ich hatte eine neue Frisur. Meine Haare waren kürzer, und ich hatte sie färben lassen. Ich hatte Rosenwasser auf den Innenseiten meiner Handgelenke, das mochte Richard früher an mir. 

 


Als es an der Tür klopfte, raste mein Herz wie das eines Teenagers, das sein erstes Date in wenigen Sekunden haben würde. Ich prüfte mein Aussehen noch schnell im Spiegel – gut sah ich aus. Anders. Frisch. Gut.
Als ich die Türe öffnete, stand er vor mir. Auch anders. Jünger? Auch er färbte sich die Haare. Sein Haarschnitt war jugendlicher, fast wie der von Justin Bieber. Er trug jetzt also einen Bart. War das ein Ohrring, was da an seinem rechten Ohrläppchen glänzte? Und was soll das offene Hemd? Es schien fast so, als hätte ihm ein Clown ein graues Toupet auf die Brust geklebt. Er nahm seine schwarze Ray-Ban Brille nicht ab, er kam auch nicht herein, er holte nur die Kinder ab und ging. 

Der Mann war also weg, über zwanzig Jahre gingen einfach so den Bach hinunter und nun waren die Kinder auch übers Wochenende mit ihm weg. Was dabei am Schlimmsten ist, das sind die Nächte. Die Nächte sind grauslich. Die Tage gehen noch so, vor allem weil Kevin erst acht Jahre alt ist und noch von meiner Anwesenheit begeistert ist, während ich Kate mit nichts beeindrucken kann, nun ja, sie ist ja sechzehn, das erklärt wohl alles. Ja, die Tage gehen, sie sind anstrengend, aber sie gehen. Die Nächte jedoch, sie sind einsam. Ich steige also in mein riesiges Bett, das eigentlich für zwei Personen gedacht ist, lege mich genau in die Mitte und überlege. Und ich komme aus dem Überlegen nicht raus. „Ist es meine Schuld?“ „Hätte ich mehr Sport treiben sollen?“ „Liegt es an meinen Kochkünsten?“ „Bin ich jetzt mit 47 zu alt für ihn? Zu langweilig?“ „ Habe ich den sogenannten „Swag“ nicht mehr?“ Was ist es bloß? Was hat meinen Mann dazu verleitet die Scheidung zu wollen? Scheidung...das Wort beschreibt nicht im Geringsten den Schmerz, der dadurch ausgelöst wird. Nun liege ich geschiedene Frau, mit meiner großen Schachtel Pralinen in einem riesigen Bett und schlafe unter dem Schokohaufen irgendwann einmal ein. 

Das Wochenende war vorbei, wieder klopfte es an der Tür. Diesmal hatte ich mehr Rosenwasser an Handgelenke und sogar Hals getupft. Aufgeregt öffnete ich die Tür, nur leider war Richard nicht zu sehen. Kate und Kevin, er begleitete sie nicht einmal bis zu Haustür, er ging bevor ich aufmachen konnte. Später am Abend erzählte Kate von einer Isabelle. Isabelle ist 24 Jahre alt und – was auch sonst – Model. Das Besondere an Isabelle war nicht etwa, dass sie sieben Sprachen spricht, Model ist, Heidi Klum persönlich kennt und bald in einem Musikvideo zu sehen sein wird, nein, das Besondere an Isabelle ist, dass sie die neue Lebensgefährtin meines Mannes ist. Lebensgefährtin. Das bedeutet, dass das was von seinem Leben übrig ist, während dieser Zeit, wird sie ihn begleiten. Sie! Isabelle! Falls sie neben den vielen Sprachen, der Tanzerei und der Bekanntschaft zu Promis noch Zeit finden sollte, dann galt diese Zeit MEINEM Mann, der nun ein gestochenes Ohrläppchen hat. 

Ohne sie gefragt zu haben verriet mir Kate:“ Sie ist sehr jung, und sehr schön.“ Ich weiß nicht ob ihr klar war, in wie vielen Stücken sie mein Herz zerriss, aber es waren viele, tausende von Stücken. Ich hörte das jung und schön nicht, alles was ich hörte war, dass sie alles besaß, das ich einfach nicht mehr hatte. Ich kann nicht viele Sprachen, ich könnte bei keinem Musikvideo mittanzen und ich war sicher kein Model mehr. Ich war..nun ja...ich war ich. Eine 47 Jahre alte Frau, die drei Fehlgeburten hinter sich haben musste, ehe sie zwei gesunde Kinder in die Welt bringen konnte. Eine Frau die vier Jahre lang den Krebs ihres Mannes mit ihm bekämpfte, bis er gesund wurde. Eine Frau, die ihr Studium verschoben hat, weil sie ihren Mann bei seinem Medizinstudium unterstützen wollte, mental wie auch finanziell. Ich weiß noch, wann er mir den Antrag gemacht hat. Wir waren Anfang Zwanzig. Kinder, eigentlich. Wir waren Kinder, verliebte Kinder. Ich konnte und wollte keinen anderen Mann sehen außer ihn, ich dachte, er würde auch so denken. Ich dachte, ich würde ihm reichen, für immer. Ich wollte seine Lebensgefährtin sein, für immer, wie lange es auch gedauert hätte, ich wäre da gewesen, wenn er mich gelassen hätte. 

Ich griff wieder zu der Schokoschachtel, die seit Monaten mein Bett mit mir teilte und ging in mein Schlafzimmer. Aber das Bett war schon besetzt, Kate und Kevin lagen darin. 
Und da traf es mich wie einen Schlag. Seine schönsten Jahre, die hatte ich. Diese Isabelle, sie kann ihn haben. Das Beste an ihm, gehört schon mir. Es spielt keine Rolle wie viele Frauen noch kommen, denn ich war die Erste und er kann mir nicht weh tun, denn er hat mich bereits mit den zwei kostbarsten Geschenken auf Erden belohnt. In dieser Nacht begriff ich, dass mein Bett nicht zu groß war, im Gegenteil, es war perfekt. Und Richard, nun, er soll seine restlichen Jahre mit anderen Gefährtinnen füllen, ich habe meine bereits in mir getragen, und so lange ich lebe, werde ich sie auf die ein oder andere Art immer weitertragen.

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