Totenwache per Livestream: Trauern in der Krise

12. Mai 2020

Österreichs Gotteshäuser sind leer. Messen fallen aus. Trauerfeiern werden verschoben. Manche Familien entscheiden sich für neue, unkonventionelle Wege des Trauerns. Ein Einblick in eine digitale Totenwache.

von Hannah Lea Jutz

“Beginnen wir die Totenwache mit dem Zeichen des Kreuzes.” Um kurz nach 19 Uhr, die Kirchenglocken im Ort sind inzwischen verstummt, eröffnet der Pfarrer das gemeinsame Gebet. “Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes.” Heute hallt das Amen nicht von den Kirchenbänken zurück. Der Pfarrer macht eine kurze Pause. “Amen.”

Totenwache über Zoom

Ungefähr 140 Angehörige, Freunde und Bekannte des Verstorbenen lauschen den Worten des Pfarrers an diesem Abend im April. Die Trauernden versuchen heute etwas Besonderes, denn die Totenwache findet nicht in einer Kirche, sondern über Zoom und YouTube statt. Angelika* ist eine enge Freundin des Verstorbenen und seiner Familie und half bei den Vorbereitungen: “Die Idee kam vom Pfarrer, selbst durchgeführt hatte er eine digitale Totenwache aber noch nicht.” Alle, die teilnehmen wollten, bekamen im Vorhinein per Mail einen Zoom-Link und den Text der Totenwache zum Ausdrucken und Mitlesen zugeschickt. Wer am Abend der Totenwache verhindert war, konnte die Totenwache im Nachhinein auf YouTube ansehen.

Nach den Begrüßungsworten des Pfarrers zünden alle gemeinsam eine Kerze an. Manche haben ein Teelicht, andere große Kerzen und eine Familie hat ein Feuer gemacht. Während es hinter den Bildschirmen hell wird, übergibt der Pfarrer das Wort an Angelika, die langsam einen Text vorliest: “...Das Wesentliche tragen wir im Herzen.” Der Pfarrer stimmt ein Lied an und über den Livestream ertönt eine Gitarre. Viele haben das Mikrofon ausgeschaltet, lediglich ihre Münder formen den Liedtext.

Kerzen Zoom
Credits: Erik Handel/Pixabay

Gemeinsames Beten fällt aus

Österreichs Kirchen, Moscheen und Synagogen sind aktuell leer. Erst ab Mitte Mai werden öffentliche Gottesdienste und Versammlungen unter bestimmten Auflagen wieder möglich sein. Für persönliche Gebete waren Gotteshäuser aller Kirchen und Religionsgemeinschaften aber weiter offen. Viele Taufen, Hochzeiten und sogar Beerdigungen wurden verschoben. Im April waren Trauerfeiern nur in engem Kreise, mit maximal dreißig Personen erlaubt.

Nur wenige sind heute in schwarz gekleidet, viele sitzen gemeinsam mit der Familie im Wohnzimmer. Angelika hatte befürchtet, dass durch die körperliche Distanz und die Technik die menschliche Nähe verlorengeht. Das Gegenteil war der Fall. “In der Kirche ist alles immer ernst, fast hölzern. Man versteckt sich hinter dem Trauerritual.” Durch die normale Umgebung sei eine Hemmschwelle gefallen. “Es war einfach stimmig, das hätte ich nicht gedacht. Es hat mir die Scheu vor dem Digitalen genommen.”

Kirche und Glauben online

Nur langsam näherten sich die katholische Kirche und andere Religionsgemeinschaften in den vergangenen Jahren den digitalen Medien an. Und auch wenn Todesanzeigen und Kerzen anzuzünden im Internet schon lange keine Seltenheit mehr sind, so waren Videogottesdienste bis jetzt die Ausnahme. Die Coronakrise sorgt nun für ein Umdenken. Viele Kirchen bieten digitale Messen und Orgelspiel per Livestream an, Priester nehmen Podcasts auf und Gebete werden auf Instagram geteilt. Kirchen in ganz Österreich finden neue Wege und Formate, um mit der Gemeinde und Gläubigen in Kontakt zu treten.

Viele der älteren Angehörigen benutzen Zoom an diesem Abend zum ersten Mal. Angelika berichtet von einer starken Bereitschaft. “Die Menschen wollten es verstehen, haben sich informiert und Eigeninitiative gezeigt.” Der Widerstand gegen das Digitale sei abgelegt worden. Einige Pannen gab es trotzdem. “Viele wussten nicht, wie man das Mikrofon auf stumm schaltet. Einen Mann hat man noch Schnäuzen gehört, eine andere hat geflucht”, erzählt Angelika. “Aber das hat es noch menschlicher gemacht.”

Nähe in körperlicher Distanz

Die Ausgangsbeschränkungen verändern die Art und Weise, wie wir trauern. Vieles wird ins Virtuelle verlagert, aber es gibt auch analoge Wege, Anteilnahme zu zeigen. Die Nachbarn der Trauerfamilie haben Essen, Kerzen und Karten vor die Tür gebracht, erzählt Angelika. “Man kann die Leute nicht mehr umarmen, das Körperliche fällt weg. Aber dafür geht die Gefühlswelt viel tiefer.” Die Menschen hätten wunderschöne Texte geschrieben und vor die Haustür gelegt. “Die Krise bringt die Leute zusammen, man ist sich emotional näher.”

Wie bei einer Totenwache in der Kirche beten die Trauernden heute gemeinsam den Rosenkranz und der Pfarrer liest die Fürbitten vor. Zum Abschluss singen alle nochmals gemeinsam. “Danke euch für das gemeinsame Beten.” Der Pfarrer verabschiedet sich von den Trauernden und beendet mit einem Segen die Andacht. Viele Angehörige bleiben aber noch online, einige stoßen auf den Verstorbenen an, im Hintergrund läuft Musik. Für Angelika war es ein sehr schöner Abend. “Es war nicht perfekt. Aber gerade das hat mich extrem berührt.”

*Name geändert

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