Wir warten auf´s Warten damit wir warten können

03. Juni 2014

Ein altes afrikanisches Sprichwort besagt „Wer keine Uhr hat, der hat die Zeit.“ Was wenn ich aber zu viel davon habe und diese gar nicht will? Was wenn mich nicht der Weg interessiert, sondern nur das Ziel?

 

Kennst du das auch? Es gibt einen Termin in deinem Kalender der markiert ist, weil du dich schon so sehr auf ihn freust. Die Tage, Wochen und vielleicht Monate bis dahin zählen nicht – die werden bloß abgewartet!

An jedem Tag wachst du auf, begibst dich geistig abwesend in alle Richtungen, hoffend, dass dieser Tag bald zu Ende ist, damit der nächste kommt und auch dieser vergeht.

 

Leben auf StandBy?

Ich kannte ein Mädchen, das immer groß werden wollte. Alt genug um sich zu schminken, alt genug um hohe Schuhe zu tragen und alt genug, um endlich zu studieren. Irgendwann einmal wird dieses Mädchen – wie jedes andere auch – zur jungen Dame und fängt zu studieren an. Während des Studiums kann sie nur daran denken mit dem Studium fertig zu werden, immerhin will sie, dass ihr „richtiges“ Leben so bald wie möglich anfängt. Auch diese Jahre vergehen und sie beendet das Studium. Der nächste Schritt war für sie einen Job zu suchen. Job gefunden! Die ersten Wochen und Monate vergingen, in denen sie „die Neue“ war, und somit wartete sie darauf, dass jemand Neues in ihr Arbeitsteam eintraf, um sich nicht mehr unfähig zu fühlen. Auch dies geschah. Irgendwann wartete sie, dass alte Liebeswunden heilten, damit ihr Herz eine neue Liebe erfahren konnte und auch hier hatte das Warten irgendwann ein Ende und sie liebte. Sie liebte und wurde geliebt. Nun gab es doch nichts mehr zu warten. Sie hatte einen für sie perfekten Job und den für sie perfekten Mann gefunden. Aber sie fand immer einen Grund um zu warten. Nun wollte sie ein Kind. Und sie wartete, bis sie schwanger wurde, dann wartete sie bis das Kind da war. Nun, sie wartete weiter, denn das Kind wurde von Tag zu Tag älter und sie träumte, dass es die ersten Zähnchen bekommt, krabbelt, erste Worte von sich gibt, in den Kindergarten kommt, in die Schule geht, eine ganz eigene kleine Persönlichkeit entwickelt und irgendwann zum Teenager wird. Sie wollte, dass die Phase des trotzigen Pubertierenden schnell vorbei ist und auch dies wartete sie geduldig ab, bis ihr Kind erwachsen wurde.

 

Weiße Strähne:

Nun war im Garten ihres Hauses die Verlobungsfeier ihrer Tochter die sie sorgfältig geplant hatte. Sie eilte aus der Küche und bevor sie in den Garten zu den Gästen hinausging, warf sie noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und da waren sie...die Jahre. Sie waren dahin. Sie bemerkte eine elegante weiße Strähne, die zwar ihr Alter nicht zu genau verriet, aber ihr einen netten Charakterzug zuschrieb. Sie feierte im Kreis der Familie die Verlobung ihrer Tochter und konnte es kaum erwarten darauf zu warten um Oma zu werden. Aber für sie gab es nichts mehr worauf sie warten konnte.

 

Keine Zeit verlieren:

Sie wurde schwer krank. Sie wusste, dass sie auf keine Genesung warten konnte, da es keine geben würde.

Sie ließ die letzten Jahre in ihren Gedanken noch einmal revue passieren und bemerkte, dass sie bloß atmete, um zu warten. Sie wartete von Ereignis zu Ereignis auf Ereignisse die vorbeigingen damit sie auf die nächsten Ereignisse warten konnte. Sie verpasste den Moment - und zwar jeden einzelnen...

Zum ersten Mal wartete sie nicht mehr – sie lebte! Sie verreiste, sie packte die Bücher aus, die nie gelesen wurden und sie belegte einen Nähkurs.

 

Die Rosen am Rand:

Das was noch von ihrem Leben übrig war, wartete sie auf keine Ereignisse, plante keine Termine, keine Ziele ein, sie sah den Weg und ging ihn Schritt für Schritt, nur diesmal beachtete sie auch die Rosen am Rand dieses Weges und bewunderte ihre Schönheit. Bisher hatte sie diese immer übersehen.

Als sie dann sehr bald im Sterbebett lag saß ihre schwangere Tochter neben ihr und dieser gab sie folgenden Rat:“Warte nicht, das Leben ist ein Wartezimmer in dem keine Uhr hängt. Geh´ raus aus diesem Zimmer und genieße einfach den Tag.“

 

Und obwohl ich meiner Ururgroßmutter nie begegnet bin, so gab sie mir durch ihren Lebensweg die Bedeutung von meinem. 

 

Fotocredit: Asma Aiad

 

 

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