Österreicherin sein oder nicht sein

21. August 2015

„Sie sind keine Österreicherin, oder?“ Mir wird schlecht. Schon wieder. Ich muss meinem Körper beibringen, dass das so nicht weitergeht. Er kann doch nicht einfach immer exzessiv Magensäure produzieren, wenn ich mit einer Situation konfrontiert bin, die mir einfach überhaupt nicht gefällt. Wo bin ich nochmal? Im Hörsaal D am Campus. Ich bin zur Statistik Vorlesung gekommen, die in etwa 5 Minuten beginnen wird. Die Frau, die mir die oben zitierte Frage gestellt hat, ist eine etwas ältere Studienkollegin, die ich nur vom Sehen kenne. Zuerst hat sie gefragt, ob sie sich neben mich setzen kann. Die nächste Frage war, ob ich eine Österreicherin bin. Dazwischen ergab sich zwar ein kurzer Dialog zwischen uns, der macht den Sprung von der ersten Frage auf die zweite aber auch nicht logischer.

Ich versuche den Gedankengang meines Gegenübers zu nachvollziehen und stelle daher inspiriert von Statistik eine Gleichung auf, bei der als Ergebnis auf jeden Fall „Österreicherin“ rauskommen muss. Die Variablen, die der Frau bekannt sind und daher für die Gleichung in Frage kommen sind lediglich meine Sprache und mein Aussehen. Irgendwas in dieser Gleichung ist offensichtlich falsch und führt daher nicht zum Ergebnis „Österreicherin“. Wenn ich mich im Hörsaal umschaue gibt es einige Studentinnen, die die gleichen Körpermerkmale aufweisen wie ich. Als exotisch kann ich daher nicht gelten. Selbst wenn ich mich stark von der Menge unterscheiden würde, welchen Einfluss hätte das denn? Gibt es sowas wie DIE Österreicherin, die sich von ALLEN Frauen anderer Nationalitäten hinreichend unterscheidet und somit stets als Österreicherin erkennbar ist? Wenn ja, wie hat sie denn auszusehen, diese weibliche Artgenossin des Homo Austriacus? Das kann es also nicht sein. Ich gehe weiter zur nächsten Variable: die Sprache. Ich bin in Stadt Salzburg geboren und aufgewachsen, habe dort auch maturiert. Ist das, was in Salzburg geredet wird, nicht Deutsch? Nein, das kann es auch nicht sein. Was ist denn jetzt falsch in dieser Gleichung? Ist es vielleicht mein Name, der ihr meine türkischen Wurzeln verrät und sie trotz meiner österreichischen Nationalität daran hindert, mich als Österreicherin zu akzeptieren? Sümeyra. Verwickeltes Blatt soll er auf Arabisch bedeuten. Nun, der Name hat mich schon in manch unangenehme Situationen verwickelt, wie etwa in Israel am Flughafen als ich aufgrund meines arabischen Namens eine besondere Aufmerksamkeit der Autoritäten auf mich zog und wegen der erweiterten Sicherheitskontrolle fast meinen Flug verpasste... aber Moment! Sie weiß doch gar nicht wie ich heiße. Schade, das wird es dann wohl auch nicht sein. Hmm...

Vielleicht ist das Problem ja weniger ein mathematisches sondern eher ein linguistisches, denke ich mir. „Sie sind keine Österreicherin, oder?“ Die Frage erscheint mir etwas knifflig. Denn sie fragt nicht „Sind sie Österreicherin?“ sondern geht direkt von der Annahme aus, dass ich keine Österreicherin bin. Mit einer Prise Unsicherheit kommt dann doch noch ein „oder?“ hinzu, was die Aussage an der letzten Ausfahrt vor der Xenophobie noch zu einer Frage umwandelt (wenn auch zu einer für mich sehr beschwerlichen). Vielleicht erkenne ich die Besonderheit, wenn ich die Frage rückwärts analysiere: „Oder Österreicherin keine sind sie?“ So ergibt sie noch weniger Sinn. Vielleicht muss ich einen Kopfstand machen, damit ich die Frage klarer verarbeiten kann. Vielleicht muss jemand dieser Frau ihre Welt auf den Kopf stellen, damit sie nicht mehr solche Fragen stellt. Ich weiß nicht was die optimale Lösung ist.

„Ähhm...“ sage ich etwas erschöpft vom ganzen Kopf Kino. Die Zeit ist wirklich relativ. Was sich in meinem Kopf wie eine Ewigkeit anfühlt spielt sich in der Realität zum Bruchteil einer Sekunde ab. Ich verwische alle Gedanken und rede weiter „Also ich bin in Österreich geboren und aufgewachsen aber ich habe türkische Wurzeln. Meine Eltern kommen aus Istanbul.“ Mein Uropa kam übrigens aus Jemen. Diese Information gebe ich ihr aber lieber nicht weiter, denn sie scheint allein mit der Kombination Österreich und Türkei schon ziemlich überfordert zu sein. Ich will schließlich keinen totalen Systemfehler in ihr bewirken.

Ich hasse es, das Gefühl zu haben, mich bezüglich meiner Identität rechtfertigen zu müssen. Doch jedes Mal, wenn ich nach meiner Herkunft gefragt werde, antworte ich reflexartig mit einer Erklärung. Und das nervt mich. Denn es ist ein Beweis dafür, dass ich mit meinem Antwortverhalten das Denkmuster jener Personen, die mir diese Frage stellen, bestätige und reproduziere: Der Mensch wird bezüglich seiner Herkunft entweder in eine Schublade oder in die andere gesteckt. Und wenn das mal nicht eindeutig möglich ist, dann bedarf es einer Erklärung; und zwar einer  ziemlich pragmatischen. Das gefällt mir wirklich ganz und gar nicht.

Ich kann es gar nicht in Worte fassen, wie froh ich darüber bin, zweisprachig aufgewachsen zu sein. Ich liebe es, sowohl an die österreichische als auch an die türkische Kultur anknüpfen zu können.  Und nein, die Tatsache, dass ich sowohl eine Österreicherin als auch eine Türkin bin wird sich auch mit der Frage, „ja, aber woher kommst du wirklich?“ nicht ändern denn ich bin WIRKLICH sowohl eine Österreicherin als auch eine Türkin.

Das nächste Mal, wenn ich gefragt werde, woher ich denn wirklich komme, werde ich einfach dieselbe Taktik verwenden, wie die Leute, die mich hartnäckig solange danach fragen, bis sie eine Antwort bekommen, mit der sie einverstanden sind. Ich werde ihre Herkunft genauso in Frage stellen: „Aus der Erde komme ich, aus welchem Planeten kommst du eigentlich?“

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